Arnold Retzer (Hrsg.)
Die Behandlung
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Subgruppe | Vor | Nach | %-Reduktion |
Signifikanz* der Mittelwertunterschiede |
---|---|---|---|---|
Gesamt | 1,4948 | 0,3350 | 77,59 | p<0,0005 |
MDP | 1,2456 | 0,4008 | 67,82 | p<0,025 |
SAP | 1,9933 | 0,2033 | 89,81 | p<0,005 |
* t - Test zur Prüfung des Mittelwertunterschiedes zweier abhängiger Stichproben.
Zusammenfassend lässt sich sagen: In einem Beobachtungszeitraum von durchschnittlich etwa drei Jahren nach Abschluss der Familientherapien und einer durchschnittlichen Anzahl von 6,6 Familiengesprächen, beobachteten wir eine Reduktion der stationären Rückfall-Raten um 67,82% bei den "manisch-depressiv" und um 89,81% bei den "schizoaffektiv" diagnostizierten Patienten.
Für weitere Informationen, beispielsweise zur Psychopharmaka Verordnung vor und nach der systemischen Familientherapie weisen wir auf die erste Veröffentlichung unserer Studie hin (Retzer et al. 1989). Hier sei nur soviel gesagt, da es darüber gelegentlich Missverständnisse zu geben scheint (vgl. Wynne 1991), dass die Ergebnisse den Schluss nahe legen, dass die im Katamnese-Zeitraum beobachteten Veränderungen nicht durch Psychopharmaka Wirkungen zu erklären sind. ...
[Kurt Hahlweg et al.]
... Ca. 23% aller Patienten machten nur eine Episode durch und hatten keine weiteren Einschränkungen. Etwa 37% hatten einige soziale Anpassungsprobleme und ca. 44% der Patienten hatten mehrere Episoden mit deutlicheren sozialen und persönlichen Einschränkungen. Dies ist der über fünf Jahre hinweg zu erwartende Verlauf, wenn die Patienten der üblichen psychiatrischen psychopharmakologischen Behandlung unterzogen werden.
Interessanterweise scheint nun dieser beschriebene Verlauf kulturabhängig zu sein. Zwar ist die Auftretens-Wahrscheinlichkeit über verschiedene Kulturen und Rassen hinweg gleich, der Verlauf dagegen ist sehr unterschiedlich. Die folgenden Daten aus der "International Pilot Study of Schizophrenia" der WHO (Satorius et al. 1974) macht dies deutlich.
In dieser Studie wurden die Patienten über zwei Jahre prospektiv3 untersucht und in ihrer Entwicklung bezüglich sozialer Anpassung, Symptomatik und Rückfall beurteilt. Entlang der Dimension "gute schlechte Entwicklung" wurde jeder Patient auf einer fünfstufigen Skala klassifiziert. Die Ergebnisse zeigen, dass etwa 40% der Patienten in Entwicklungsländern einen sehr guten Verlauf haben im Unterschied zu nur etwa 15% der Patienten in industrialisierten Ländern. Die Verläufe in Ländern der Dritten Welt sind durchweg sehr viel günstiger als in Industrieländern. Bei ca. 25% der Patienten ist der Verlauf jedoch sehr schlecht, hier gibt es keine Unterschiede zwischen Entwicklungs- und Industrieländern. ...
FRÜHINTERVENTION ALS PRÄVENTION DER SCHIZOPHRENIE
[Ian R. H. Falloon]
... Die verhaltensorientierte Familientherapie hat sich auch als präventive Maßnahme nach schweren Episoden der Krankheit bewährt. Man kann davon ausgehen, dass der gleiche Behandlungsansatz, eingesetzt in der Prodromalphase der schizophrenen Initialepisode auch den eigentlichen Ausbruch der Schizophrenie verhindern kann. Eine entsprechende Studie läuft seit etwa fünf Jahren in einer epidemiologisch definierten Population von Jugendlichen und Erwachsen in Buckingham. Vorläufige Ergebnisse weisen auf eine Reduktion um den Faktor zehn im jährlichen Auftreten neuer Fälle von Schizophrenie hin: von 7,4 auf 0,75 pro 100 000 Einwohner. Die Größenordnung dieses Präventionseffekts legt die Vermutung nahe, dass auch bei der akuten Schizophrenie eine Vorbeugung möglich ist. Damit ist die Situation vergleichbar der bei der Früherkennung von Brustkrebs, die, in Verbindung mit einer gezielten Intervention, die Entwicklung eines malignen Carcinoms verhindern kann.
Mehrere Kontrollstudien über verhaltensorientierte Familientherapie sind zur Zeit in Arbeit. Eine Serie voll Studien wird derzeit in einem Gemeinschaftsprojekt in den Vereinigten Staaten, eine weitere in München, durchgeführt, Sie sollen die Wechselwirkung zwischen der Behandlung mit Neuroleptika und verhaltensorientierter Familientherapie erfassen. Man vermutet, dass zumindest einige Patienten durch ein effektives Management bereits mit sehr niedrigen Dosen oder möglicher weise ganz ohne Psychopharmaka wiederhergestellt werden können.
Eine weitere Studienreihe überprüft die Wirksamkeit voll verhaltensorientierter Familientherapie bei einem Einsatz in standardisierten klinischen Settings. Damit werden auch die Probleme angesprochen, die bei der Therapeutenausbildung und der Ausübung familienorientierter Behandlungen in vielen psychiatrischen Einrichtungen auftreten. Diese Untersuchungen in Sidney, Southampton, Bournemouth, Tottenham (London) und Providence (Rhode Island) lassen ebenso wie die Buckingham-Studie erkennen, dass Therapeuten schnell für die Ausübung dieses Behandlungsansatzes ausgebildet werden können, und die Ergebnisse den gleichen Trend zeigen wie die der Kontrollstudien. Die wesentlichen Einschränkungen dieses Ansatzes scheinen in den praktischen Schwierigkeiten zu liegen, in Institutionen der Erwachsenenpsychiatrie mit Familien zu arbeiten. Mehrere transkulturelle Studien über verhaltensorientierte Familientherapie sind in Arbeit. Die Handbücher sind inzwischen in viele Sprachen übersetzt worden, unter anderem griechisch, spanisch (mexikanisch und kastilisch), deutsch, schwedisch, französisch und australisch. Der Grundansatz bleibt unverändert, wenngleich ständig Verfeinerungen vorgenommen werden, um die Methode zu optimieren. Gegenwärtig besteht die Ausbildung aus 15 Stunden Teilnahme an Workshops und anschließender sechsmonatiger Fallsupervision. ...
SPIEGEL 41/99 MEDIZIN Seite 337Falsche Therapie von Magengeschwüren
Vor 16 Jahren erkannten australische Ärzte, dass Bakterien vom Typ Helicobacter pylori für die meisten Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre verantwortlich sind. Seit knapp einem Jahrzehnt gilt die Bekämpfung dieser Erreger mit Hilfe von Antibiotika als anerkannte, auf Dauer wirksame und kostengünstige Therapie dieser Leiden. Deutschlands Allgemeinärzte und Internisten jedoch, so eine Studie des Frankfurter Instituts für medizinische Statistik, wenden diese Therapie nur bei jedem vierten bis sechsten in Frage kommenden Patienten an. Rund zwei Drittel der Ärzte halten sich nicht an die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechsel-Krankheiten, die eine nur eine Woche dauernde Behandlung mit drei unterschiedlichen Medikamenten vorschlägt. Die Mediziner scheinen überholte Behandlungsformen vorzuziehen: Diese garantieren ihnen, dass die Patienten mit ihren Magenbeschwerden immer wieder kommen. |
Kompetenz kann man nur leugnen
Ithaca. Gegen Dummheit kämpfen selbst die Götter vergebens, lässt ein Sprichwort glauben. Gegen Inkompetenz auch besagen neuste psychologische Erkenntnisse von David Dunning, Forscher an der amerikanischen Cornell University. Der Wissenschaftler hat festgestellt, dass inkompetenten Menschen ihr fehlendes Wissen meist gar nicht bewusst ist. Dunning hat Tests durchgeführt, bei denen die Versuchspersonen logische, grammatische und humorvolle Fragen lösen sollten. Danach schätzten sie ihre eigenen Antworten ein. Diejenigen, die ihre Qualität gering einstuften, waren häufig die kompetenteren Menschen. Wessen Antworten meistens falsch waren, hat sich vielfach zu den Besten gezählt. |
Alter von Hirn-Chemie abhängig
Brookhaven. Im Alter werden wir schusselig und vergesslich - Symptome, die jeder kennt. Aber keiner weiß, warum das so ist. Nora Volkow vom Brookhaven National Laboratory vermutet, dass der Verlust eines chemischen Botenstoffes im Gehirn, des Dopamins, verantwortlich ist. Im "American Journal of Psychiatry" schreibt Volkow: "Dopamin ist ein Stoff, der die Kommunikation zwischen den verschiedenen Zonen des Gehirns steuert, besonders die, die mit Bewegung, Kognition, Motivation und Belohnung zu tun haben." Kognition kann hierbei als Gedächtnis und Lernfähigkeit verstanden werden. Bei 37 gesunden Versuchspersonen haben die Wissenschaftler bestätigt: Altern hängt mit dem Dopamin-Verlust zusammen. Die Hirnfunktionen lassen nach. Jetzt wollen die Forscher herausfinden, ob man diesen Prozess mit Medikamenten aufhalten kann. |
Paul WatzlawickWie wirklich ist die Wirklichkeit [Seite 92]
Im Rahmen eines vor Jahren im Mental Research Institute durchgeführten Experiments fragten wir den Gründer und ersten Direktor unseres Instituts, den Psychiater Don D. Jackson, der ein international bekannter Fachmann auf dem Gebiet der Psychotherapie der Schizophrenien war, ob er es uns erlauben würde, ihn bei einem Erstinterview mit einem paranoiden Patienten zu filmen, dessen Wahnvorstellung hauptsächlich darin bestand, ein klinischer Psychologe zu sein. Dr. Jackson war einverstanden, und unser nächster Schritt war, einen klinischen Psychologen, der sich ebenfalls mit der Psychotherapie von Psychosen befaßte, zu fragen, ob er willens sei, sich in einem Erstinterview mit einem paranoiden Patienten filmen zu lassen, der glaubte, ein Psychiater zu sein. Auch er sagte zu. Wir brachten die beiden dann in einer Art Supertherapiesitzung zusammen, in der beide Doktoren prompt darangingen, die »Wahnvorstellung« des anderen zu behandeln. Für die Zwecke unseres Experiments hätte die Situation kaum perfekter sein können: Dank ihres Zustands von Desinformation verhielten sich beide zwar individuell durchaus richtig und »wirklichkeitsangepaßt« - bloß daß eben dieses richtige und wirklichkeitsangepaßte Verhalten in der Sicht des anderen ein Beweis von Geistesstörung war. Oder anders ausgedrückt: Je normaler sich beide verhielten, desto verrückter schienen sie in den Augen des Partners. - (Leider ging der Versuch nach wenigen Minuten schief da sich der Psychologe plötzlich daran erinnerte, daß es in Palo Alto tatsächlich einen Psychiater namens Jackson gab, und er verwendete daher die günstige Gelegenheit, seine beruflichen Probleme gratis mit einem wirklichen Fachmann zu erörtern; was Dr. Jackson wiederum in der Annahme bestärkte, daß es sich um einen zwar voll remitierten Patienten, aber eben doch einen Patienten handeln mußte.) |