Arnold Retzer (Hrsg.)

Die Behandlung
psychotischen Verhaltens

Psychoedukative Ansätze versus systemische Ansätze


2. Auflage, Carl-Auer-Systeme Verlag 1996 [269 Seiten],
1. Auflage 1991.

 


Seiten 80-81

 

DER PSYCHOEDUKATIVE ANSATZ [Luigi Boscolo]

 

Für schizophrenes Verhalten werden heute unterschiedliche Behandlungen vorgeschlagen. Eine der vorgeschlagenen Behandlungen ist die psychoedukative Methode. Aus Gründen der Vereinfachung werden hier unter diesem Terminus sowohl die Vorgehensweisen von Anderson et al. (1986) verstanden, als auch die Vorgehensweisen, die auf leicht abgewandelten Modellen beruhen, aber alle darin übereinstimmen, den Familien bestimmte Informationen zukommen zu lassen und das Management des schizophrenen Indexpatienten zu verbessern (Falloon et al. 1985; Berkowitz et al. 1984).

Wenn wir den psychoedukativen Ansatz aus systemischer Perspektive betrachten, kommen wir nicht umhin, diesem gegenüber sehr skeptisch zu sein. Der psychoedukative Ansatz kann ausgesprochen gefährlich sein. Er kann insbesondere dann gefährlich sein, wenn er bei akuten Fällen und ersten schizophrenen Episoden angewandt wird. Wenn er sofort nach der ersten stationären Einweisung angewendet wird, kann er einen außerordentlich negativen Einfluss im Sinne der Ausgestaltung einer chronischen Entwicklung haben. Diesen Einfluss gewinnt der psychoedukative Ansatz besonders dadurch, dass er in die Familien sehr mächtige Ideen über die Diagnose der Schizophrenie und der damit verbundenen Prognose einführt. Diese Ideen schaffen in der Folge die Realität einer unabwendbaren und chronischen Krankheit. Der psychoedukative Ansatz heftet der gestörten Person sofort ein Etikett an und unterstützt damit den Beginn einer Karriere als Schizophrener. Genau in die diametral entgegengesetzte Richtung geht jede von der Mailänder Schule1 entwickelte Intervention. Indem der psychoedukative Therapeut das Wort "Schizophrenie" unter Aufwendung seiner ganzen fachlichen Autorität in die Familie einführt, bringt er gefährliche Erwartungen und Resignation hervor.

Es kann jedoch auch eingeräumt werden, dass dieses Modell bei chronischen Fällen, die eine lange Geschichte von vielen Klinik-Einweisungen und mehreren Jahre psychotischen Verhaltens hinter sich haben, seine Nützlichkeit haben mag. Wenn schon vieles vergeblich versucht worden ist, kann man auch eine Art "intramuraler" Behandlung der Schizophrenie versuchen: man kann im Hause der Familie ein kleines Irrenhaus organisieren, um die Symptomatik des Patienten zu kontrollieren.

Darüber hinaus muss die Frage der Zweckmäßigkeit des psychoedukativen Ansatzes zusammen mit dem Problem der Diagnose gesehen werden. Die psychiatrische Diagnose ist trotz vieler Anstrengungen kein "objektiver" Befund, sondern hängt weitgehend von dem Behandler ab, der eine Diagnose formuliert. Die Studien von Kendell (1975) zeigen dies eindrücklich. Aber nicht nur das: Die von einem Therapeuten erstellte Diagnose tendiert mit der Zeit dazu, schlechter zu werden, wenn dieser Therapeut nicht in der Lage ist, eine therapeutische Veränderung zu erreichen. So war vor etwa 20 Jahren in den USA die Diagnose "pseudoneurotische Schizophrenie" weit verbreitet. Häufig ließ sich beobachten, dass ein Fall, der zunächst als "Neurose" oder "neurotischer Charakter" diagnostiziert worden war, nach einiger Zeit in die Kategorie "pseudoneurotische Schizophrenie" eingeordnet wurde. Dies geschah meist dann, wenn die eingesetzten therapeutischen Maßnahmen nur spärliche oder keine Ergebnisse erbracht hatten und man weiterhin psychotisches Verhalten beobachtete. Wenn in der Klinik dieses Verhalten persistierte und sich die Persönlichkeit nicht schnell genug wieder fasste, verwandelte sich die Diagnose schnell in "Schizophrenie".

In diesem Zusammenhang ist die von D. L. Rosenhan (1985) beschriebene Studie interessant, in der einige Psychologen und Psychiater, die den Prozess der Diagnoseerstellung untersuchten, sich in verschiedene psychiatrische Anstalten einweisen ließen und alle über dasselbe verrückte Symptom klagten: Sie hörten eine Stimme. Alle erhielten ohne Unterschied die Diagnose "Schizophrenie". Kein Psychiater bemerkte, dass sie nicht schizophren waren. Die einzigen, die eine gewisse Überraschung und Verwunderung zeigten, waren die hospitalisierten Patienten, die irgendeinen "Unterschied" zwischen sich und den Forschern bemerkten: Eine Atmosphäre des "Nicht-Wahnsinns". Diese Atmosphäre lässt sich als die Umkehrung der ...

 


Seiten 98-99

[Arnold Retzer, Gunthard Weber]

 

... muss also überall und immer notwendig erkrankt sein, wo Irresein vorhanden ist? - Die Antwort auf diese Frage ist die erste Voraussetzung der ganzen Psychiatrie. Zeigen uns physiologische und pathologische Tatsachen, dass dieses Organ nur das Gehirn sein kann, so haben wir vor Allem in den psychischen Krankheiten jedes mal Erkrankungen des Gehirns zu erkennen." (Griesinger 1845, S.1) Jetzt, 140 Jahre nach Erscheinen dieses Buches, werden "Entdeckungen" zur Ätiologie des "Irresein" in einer Serie "weltweiter Sensationen" in Journalen und Magazinen verkündet: Eine Forschergruppe an der Universität London (Sherrington et al. 1988) glaubte in einer Untersuchung von sieben Familien ein Gen auf dem Chromosom Nr. 5 entdeckt zu haben, das zur Schizophrenie prädisponiert. Eine andere Gruppe in den USA (Egeland et al. 1987) glaubt das prädisponierende Gen für manisch-depressive Psychosen auf dem kleinen Arm des Chromosom Nr. 11 entdeckt zu haben. Die Ergebnisse beider Studien mussten inzwischen zurückgenommen oder relativiert werden (Davies 1989, Kelsoe et al. 1989, Robertson 1989).

Etwa zur gleichen Zeit kommt Joseph Zubin, der Erfinder des Vulnerabilitäts-Modells der Schizophrenie (Zubin und Spring 1977), zu der ernüchternden Erkenntnis, "dass wir bezüglich Ätiologie abgrundtief unwissend sind" (Zubin 1989, S.14).

Allerdings unterbreitet er sogleich angesichts der Tatsache, dass nach wie vor das Ätiologieproblem ungelöst ist, den nächsten Lösungsvorschlag, nämlich, "an die Stelle unserer ätiologischen Unkenntnis die bisher entwickelten wissenschaftlichen Modelle über die vermutete Ätiologie zu setzen" (a. a. O.).

Wir nehmen in unserer Erörterung psychotischen Verhaltens angesichts dieser verwirrenden Situation folgenden Standpunkt ein: Auch wir wissen nicht, was die Ursachen der "endogenen Psychosen" sind. Wir fühlen uns dadurch jedoch nicht zu therapeutischem oder wissenschaftlichem Nihilismus verurteilt. Da es (zur Zeit) unentscheidbar zu sein scheint, was die Ursachen psychotischen Verhaltens sind oder wo danach zu suchen sei, nehmen wir uns die Freiheit und die Verantwortung, selbst zu entscheiden, was, wie und wo wir beobachten.

Allerdings kann schon die Frage der Ursache nicht voraussetzungslos gestellt werden. Kausalität existiert streng genommen nur im Kontext des Interesses eines Beobachters, seines Interesses, Ordnung in die Vielfalt der Tatsachen zu bringen. Ordnung, die ein Beobachter beispielsweise herstellen kann, indem er sein Netz der Kausalität über die Tatsachen wirft. Ordnung kann ein Beobachter auf zwei verschiedene Weisen in die Tatsachen bringen (vgl. Retzer 1989):

  1. durch Beschreibung von Mustern, die durch funktionale Verknüpfungen von Tatsachen hergestellt werden,
  2. durch Erklärung der Entstehung der einen Tatsache aus einer anderen über einen verursachenden Mechanismus.

Die erste Art und Weise der beobachtenden Herstellung von Ordnung ist die von uns praktizierte, die zweite ist die beobachtende Ordnungserzeugung durch das Kausalitätsprinzip, dessen absolute Gültigkeit und Notwendigkeit wir, ähnlich wie es Bertrand Russell tut, in Frage stellen: "Zweifelsohne ist der Grund, weshalb das altbekannte Kausalitätsprinzip die Bücher der Philosophen seit so langer Zeit durchgeistert, einfach der, dass die Idee einer Funktion den meisten von ihnen unbekannt ist und sie deshalb nach einer ungebührlich vereinfachten Darstellung suchen... auch das Kausalitätsprinzip ist ein Relikt einer vergangenen Zeit, das, wie die Monarchie, nur deshalb am Leben geblieben ist, weil man es irrtümlicherweise für unschädlich hält" (Russell 1912/13).

Wir haben uns entschieden, interaktionelle, kognitive und affektive Muster in Familien mit einem psychotischen Mitglied zu beobachten und zu beschreiben, Muster, die sich im individuellen Verhalten des psychotischen Familienmitgliedes, in den Interaktionen innerhalb seiner Familie und nicht zu letzt auch in den Interaktionen zwischen dem Patienten, bzw. seiner Familie und möglichen Therapeuten, Beratern oder Helfern zeigen. Die folgenden Beschreibungen basieren auf Erfahrungen im therapeutischen Umgang mit diesen Familien2.

Unsere Musterbeschreibungen sind keine handlungsabstinenten Modelle, sondern Ergebnis von und gleichzeitig Anleitung zu therapeutischem Handeln. Die Legitimation solchen Handelns leitete sich zunächst von der Beobachtung ab, dass psychotisches Verhalten im Kontext der zu beschreibenden Muster auftritt und Teil dieser Muster ist, bei Veränderungen dieser Muster jedoch auch verschwinden kann. Die therapeutischen Handlungen, die unseres Erachtens Veränderungen dieser Muster anstoßen können, werden an anderer Stelle ausführlich dargestellt (Weber und Retzer 1991).

 

MUSTER DER BESCHREIBUNG

Zwei Beschreibungsebenen, die sich überschneiden und wechselseitig bedingen, sollen hier diskutiert werden. Diese Ebenen sind die Zeitorganisation und die Beziehungsrealität in Familien mit psychotischem Verhalten. ...

 


Seiten 122-123

... Die dritte Spalte stellt die Rückfall-Raten-Differenzen zwischen den beiden Rückfall-Raten vor und nach Familientherapie dar und gibt damit ein Maß für die individuelle auf den Fall bezogene Entwicklung der Rückfall-Raten in der Zeit an.

Eine positive Rückfall-Raten-Differenz stellt dabei eine Abnahme der Rückfall-Raten dar, eine negative Differenz eine Zunahme und eine Rückfall-Raten-Differenz von 0,000 eine gleichbleibend konstante Rückfall-Rate. Damit zeigen sich 23 Fälle (76,67%) als gebessert, 2 Fälle (6,60%) als unverändert und 5 Fälle (16,67%) als nach Familientherapie verschlechtert.

In der letzten Spalte schließlich werden die Fälle der Gesamtstichprobe entsprechend der Rückfall-Raten-Differenzen in eine Rangreihe gebracht, die es ermöglicht, für Untersuchungen des Therapieprozesses Teilgruppen an Hand der Veränderungsvariable Rückfall-Raten-Entwicklung zu bilden.

Tabelle 3 und Abbildung 1 zeigen bei unterschiedlichen Ausgangs-Rückfall-Raten in der Gesamtstichprobe und den beiden diagnostischen Subgruppen eine deutliche Reduktion der Rückfall-Raten, die für alle drei gebildeten Gruppen signifikant bis hoch signifikant ist.

Die Gruppe der schizoaffektiven Psychosen zeigt das größte Ausmaß an Rückfall-Raten-Reduktion (fast 90%). Die Gruppe der manisch-depressiven Psychosen fast 70% Rückfall-Raten-Reduktion.

Tab. 3

Übersicht der Rückfall-Raten-Mittelwerte, vor und nach Familientherapie, deren prozentuale Reduktion nach Familientherapie in der Gesamtstichprobe, der Subgruppen der manisch-depressiven Psychosen (MDP) und der schizoaffektiven Psychosen (SAP):

Subgruppe Vor Nach %-Reduktion Signifikanz* der
Mittelwertunterschiede
Gesamt 1,4948 0,3350 77,59 p<0,0005
MDP 1,2456 0,4008 67,82 p<0,025
SAP 1,9933 0,2033 89,81 p<0,005

* t - Test zur Prüfung des Mittelwertunterschiedes zweier abhängiger Stichproben.

Zusammenfassend lässt sich sagen: In einem Beobachtungszeitraum von durchschnittlich etwa drei Jahren nach Abschluss der Familientherapien und einer durchschnittlichen Anzahl von 6,6 Familiengesprächen, beobachteten wir eine Reduktion der stationären Rückfall-Raten um 67,82% bei den "manisch-depressiv" und um 89,81% bei den "schizoaffektiv" diagnostizierten Patienten.

Für weitere Informationen, beispielsweise zur Psychopharmaka Verordnung vor und nach der systemischen Familientherapie weisen wir auf die erste Veröffentlichung unserer Studie hin (Retzer et al. 1989). Hier sei nur soviel gesagt, da es darüber gelegentlich Missverständnisse zu geben scheint (vgl. Wynne 1991), dass die Ergebnisse den Schluss nahe legen, dass die im Katamnese-Zeitraum beobachteten Veränderungen nicht durch Psychopharmaka Wirkungen zu erklären sind. ...

 


Seite 175

[Kurt Hahlweg et al.]

 

... Ca. 23% aller Patienten machten nur eine Episode durch und hatten keine weiteren Einschränkungen. Etwa 37% hatten einige soziale Anpassungsprobleme und ca. 44% der Patienten hatten mehrere Episoden mit deutlicheren sozialen und persönlichen Einschränkungen. Dies ist der über fünf Jahre hinweg zu erwartende Verlauf, wenn die Patienten der üblichen psychiatrischen psychopharmakologischen Behandlung unterzogen werden.

Interessanterweise scheint nun dieser beschriebene Verlauf kulturabhängig zu sein. Zwar ist die Auftretens-Wahrscheinlichkeit über verschiedene Kulturen und Rassen hinweg gleich, der Verlauf dagegen ist sehr unterschiedlich. Die folgenden Daten aus der "International Pilot Study of Schizophrenia" der WHO (Satorius et al. 1974) macht dies deutlich.

In dieser Studie wurden die Patienten über zwei Jahre prospektiv3 untersucht und in ihrer Entwicklung bezüglich sozialer Anpassung, Symptomatik und Rückfall beurteilt. Entlang der Dimension "gute schlechte Entwicklung" wurde jeder Patient auf einer fünfstufigen Skala klassifiziert. Die Ergebnisse zeigen, dass etwa 40% der Patienten in Entwicklungsländern einen sehr guten Verlauf haben im Unterschied zu nur etwa 15% der Patienten in industrialisierten Ländern. Die Verläufe in Ländern der Dritten Welt sind durchweg sehr viel günstiger als in Industrieländern. Bei ca. 25% der Patienten ist der Verlauf jedoch sehr schlecht, hier gibt es keine Unterschiede zwischen Entwicklungs- und Industrieländern. ...

 


Seiten 38-39

FRÜHINTERVENTION ALS PRÄVENTION DER SCHIZOPHRENIE
[Ian R. H. Falloon]

 

... Die verhaltensorientierte Familientherapie hat sich auch als präventive Maßnahme nach schweren Episoden der Krankheit bewährt. Man kann davon ausgehen, dass der gleiche Behandlungsansatz, eingesetzt in der Prodromalphase der schizophrenen Initialepisode auch den eigentlichen Ausbruch der Schizophrenie verhindern kann. Eine entsprechende Studie läuft seit etwa fünf Jahren in einer epidemiologisch definierten Population von Jugendlichen und Erwachsen in Buckingham. Vorläufige Ergebnisse weisen auf eine Reduktion um den Faktor zehn im jährlichen Auftreten neuer Fälle von Schizophrenie hin: von 7,4 auf 0,75 pro 100 000 Einwohner. Die Größenordnung dieses Präventionseffekts legt die Vermutung nahe, dass auch bei der akuten Schizophrenie eine Vorbeugung möglich ist. Damit ist die Situation vergleichbar der bei der Früherkennung von Brustkrebs, die, in Verbindung mit einer gezielten Intervention, die Entwicklung eines malignen Carcinoms verhindern kann.

 

DIE ZUKÜNFTIGE ENTWICKLUNG

Mehrere Kontrollstudien über verhaltensorientierte Familientherapie sind zur Zeit in Arbeit. Eine Serie voll Studien wird derzeit in einem Gemeinschaftsprojekt in den Vereinigten Staaten, eine weitere in München, durchgeführt, Sie sollen die Wechselwirkung zwischen der Behandlung mit Neuroleptika und verhaltensorientierter Familientherapie erfassen. Man vermutet, dass zumindest einige Patienten durch ein effektives Management bereits mit sehr niedrigen Dosen oder möglicher weise ganz ohne Psychopharmaka wiederhergestellt werden können.

Eine weitere Studienreihe überprüft die Wirksamkeit voll verhaltensorientierter Familientherapie bei einem Einsatz in standardisierten klinischen Settings. Damit werden auch die Probleme angesprochen, die bei der Therapeutenausbildung und der Ausübung familienorientierter Behandlungen in vielen psychiatrischen Einrichtungen auftreten. Diese Untersuchungen in Sidney, Southampton, Bournemouth, Tottenham (London) und Providence (Rhode Island) lassen ebenso wie die Buckingham-Studie erkennen, dass Therapeuten schnell für die Ausübung dieses Behandlungsansatzes ausgebildet werden können, und die Ergebnisse den gleichen Trend zeigen wie die der Kontrollstudien. Die wesentlichen Einschränkungen dieses Ansatzes scheinen in den praktischen Schwierigkeiten zu liegen, in Institutionen der Erwachsenenpsychiatrie mit Familien zu arbeiten. Mehrere transkulturelle Studien über verhaltensorientierte Familientherapie sind in Arbeit. Die Handbücher sind inzwischen in viele Sprachen übersetzt worden, unter anderem griechisch, spanisch (mexikanisch und kastilisch), deutsch, schwedisch, französisch und australisch. Der Grundansatz bleibt unverändert, wenngleich ständig Verfeinerungen vorgenommen werden, um die Methode zu optimieren. Gegenwärtig besteht die Ausbildung aus 15 Stunden Teilnahme an Workshops und anschließender sechsmonatiger Fallsupervision. ...

 


Anmerkungen

  1. Anmerkung des Herausgebers: Unter dem Oberbegriff der Mailänder Schule lassen sich inzwischen einige Teams subsummieren: Ursprünglich bestand die Mailänder Gruppe bis etwa zum Jahre 1980 aus Mara Selvini Palazzoli, Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin und Guiliana Prata. 1980 trennte sich von diesem Team Luigi Boscolo und Gianfranco Cecchin. 1982 gründete Mara Selvini Palazzoli zusammen mit Guiliana Prata das "Nuovo Centro per lo Studio della Famiglia", dem in der Folge auch andere Teammitglieder angehörten (Stefano Cirillo, Matteo Selvini und Anna Maria Sorrentino). 1985 trennte sich Guiliana Prata von dieser Gruppe und gründete das "Centro di Terapia Sistemica e di Ricerca".
  2. Diese Erfahrungen konnten wir im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojektes machen, über das an anderer Stelle schon berichtet wurde (Stierlin et al. 1986, Weber et al. 1987, Simon et al. 1989, Retzer et al. 1989). Die Mitglieder der Forschungsgruppe sind: A. Retzer, G. Schmidt, F. B. Simon, H. Stierlin, G. Weber.
  3. Anmerkung des Herausgebers: "Prospektive Studien" oder auch "Kohortenstudien" bezeichnen in der Epidemiologie Studien, in denen eine definierte Stichprobe von Personen systematisch beobachtet wird, wobei alle Mitglieder der beobachteten Stichprobe gegenüber einem definierten Faktor exponiert sind (beispielsweise Zigarettenraucher, wenn Rauchen als Einflussgröße auf die Entstehung von Lungenkrebs untersucht werden soll). Diese Stichrobe soll als Zufallsstichprobe aus der Gesamtheit aller Exponierten (also beispielsweise aller Raucher) gebildet werden. Der so gebildeten Stichprobe oder "Kohorte" wird eine Vergleichsgruppe gegenübergestellt, die in möglichst vielen Merkmalen mit der Kohorte übereinstimmt, jedoch nicht in dem definierten Faktor (also z.B. Zigarettenrauchen). Über einen angemessenen Zeitpunkt werden beide Gruppen in regelmäßigen Abständen untersucht, um das Auftreten von Erkrankungen festzustellen. Durch dieses Verfahren der prospektiven Studie lässt sich nun die Krankheitsinzidenz in den zugrunde liegenden Populationen von Exponierten und Nicht-Exponierten schätzen.

SCHLUSSFOLGERUNGEN

 

SPIEGEL 41/99 MEDIZIN Seite 337

Falsche Therapie von Magengeschwüren

 

Vor 16 Jahren erkannten australische Ärzte, dass Bakterien vom Typ Helicobacter pylori für die meisten Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre verantwortlich sind. Seit knapp einem Jahrzehnt gilt die Bekämpfung dieser Erreger mit Hilfe von Antibiotika als anerkannte, auf Dauer wirksame und kostengünstige Therapie dieser Leiden. Deutschlands Allgemeinärzte und Internisten jedoch, so eine Studie des Frankfurter Instituts für medizinische Statistik, wenden diese Therapie nur bei jedem vierten bis sechsten in Frage kommenden Patienten an. Rund zwei Drittel der Ärzte halten sich nicht an die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechsel-Krankheiten, die eine nur eine Woche dauernde Behandlung mit drei unterschiedlichen Medikamenten vorschlägt. Die Mediziner scheinen überholte Behandlungsformen vorzuziehen: Diese garantieren ihnen, dass die Patienten mit ihren Magenbeschwerden immer wieder kommen.

 

Kompetenz kann man nur leugnen

 

Ithaca. Gegen Dummheit kämpfen selbst die Götter vergebens, lässt ein Sprichwort glauben. Gegen Inkompetenz auch besagen neuste psychologische Erkenntnisse von David Dunning, Forscher an der amerikanischen Cornell University. Der Wissenschaftler hat festgestellt, dass inkompetenten Menschen ihr fehlendes Wissen meist gar nicht bewusst ist. Dunning hat Tests durchgeführt, bei denen die Versuchspersonen logische, grammatische und humorvolle Fragen lösen sollten. Danach schätzten sie ihre eigenen Antworten ein. Diejenigen, die ihre Qualität gering einstuften, waren häufig die kompetenteren Menschen. Wessen Antworten meistens falsch waren, hat sich vielfach zu den Besten gezählt.

 

Alter von Hirn-Chemie abhängig

 

Brookhaven. Im Alter werden wir schusselig und vergesslich - Symptome, die jeder kennt. Aber keiner weiß, warum das so ist. Nora Volkow vom Brookhaven National Laboratory vermutet, dass der Verlust eines chemischen Botenstoffes im Gehirn, des Dopamins, verantwortlich ist. Im "American Journal of Psychiatry" schreibt Volkow: "Dopamin ist ein Stoff, der die Kommunikation zwischen den verschiedenen Zonen des Gehirns steuert, besonders die, die mit Bewegung, Kognition, Motivation und Belohnung zu tun haben." Kognition kann hierbei als Gedächtnis und Lernfähigkeit verstanden werden. Bei 37 gesunden Versuchspersonen haben die Wissenschaftler bestätigt: Altern hängt mit dem Dopamin-Verlust zusammen. Die Hirnfunktionen lassen nach. Jetzt wollen die Forscher herausfinden, ob man diesen Prozess mit Medikamenten aufhalten kann.

 

Paul Watzlawick

Wie wirklich ist die Wirklichkeit [Seite 92]

 

Im Rahmen eines vor Jahren im Mental Research Institute durch­geführten Experiments fragten wir den Gründer und ersten Direktor unseres Instituts, den Psychiater Don D. Jackson, der ein international bekannter Fachmann auf dem Gebiet der Psycho­therapie der Schizophrenien war, ob er es uns erlauben würde, ihn bei einem Erst­interview mit einem paranoiden Patienten zu filmen, dessen Wahn­vorstellung hauptsächlich darin bestand, ein klinischer Psychologe zu sein. Dr. Jackson war einverstanden, und unser nächster Schritt war, einen klinischen Psychologen, der sich ebenfalls mit der Psycho­therapie von Psychosen befaßte, zu fragen, ob er willens sei, sich in einem Erstinterview mit einem paranoiden Patienten filmen zu lassen, der glaubte, ein Psychiater zu sein. Auch er sagte zu. Wir brachten die beiden dann in einer Art Super­therapie­sitzung zusammen, in der beide Doktoren prompt darangingen, die »Wahnvorstellung« des anderen zu behandeln. Für die Zwecke unseres Experiments hätte die Situation kaum perfekter sein können: Dank ihres Zustands von Desinformation verhielten sich beide zwar individuell durchaus richtig und »wirklichkeits­angepaßt« - bloß daß eben dieses richtige und wirklichkeits­angepaßte Verhalten in der Sicht des anderen ein Beweis von Geistes­störung war. Oder anders ausgedrückt: Je normaler sich beide verhielten, desto verrückter schienen sie in den Augen des Partners. - (Leider ging der Versuch nach wenigen Minuten schief da sich der Psychologe plötzlich daran erinnerte, daß es in Palo Alto tatsächlich einen Psychiater namens Jackson gab, und er verwendete daher die günstige Gelegenheit, seine beruflichen Probleme gratis mit einem wirklichen Fachmann zu erörtern; was Dr. Jackson wiederum in der Annahme bestärkte, daß es sich um einen zwar voll remitierten Patienten, aber eben doch einen Patienten handeln mußte.)