Don D. Jackson

Kritik der Literatur

über die Erblichkeit

von Schizophrenie

 


Bei jeder kritischen Betrachtung unseres heutigen Wissens von der Schizophrenie müssen die genetischen Befunde genau untersucht werden; denn in der Kontroverse über die Ätiologie stellen sie einen der Grundpfeiler dar für die organische Position. Dr. Böök hat das Thema vom Standpunkt des medizinischen Genetikers aus behandelt1; dieser Aufsatz geht die Frage von der psychodynamisch orientierten Seite her an.

Forscher, die den Vererbungsfaktoren eine Hauptrolle zusprechen, haben viel Material zusammengetragen, und nach ihrer Meinung wird ihre Hypothese von den Daten bestätigt. Zwei Fragen darf man aber wohl stellen: 1. Lassen sich die dargestellten Fakten auch anders erklären? 2. Sind die Studien hinsichtlich der Methode, vor allem was die Diagnose und die statistischen Postulate betrifft, einwandfrei?

Man kann davon ausgehen, dass die Lehre von der Erblichkeit der Schizophrenie Gegenstand heftiger Gefühle und fester Überzeugungen ist. Obwohl einige wenige wie M. Bleuler und Kanner vor der unumschränkten Annahme einer genetischen Ätiologie gewarnt haben, scheinen die meisten Autoren genetische Befunde zu akzeptieren, besonders in der Form, wie sie in der Arbeit von Kallmann auftauchen. Kürzlich erschienene Referate von Shea (1), Cade (2) und Balfour Sclare (3) zum Beispiel gehen davon aus, dass der Nachweis einer genetischen Basis außer Frage steht. In einer der jüngsten Besprechungen biochemischer Forschung (4) wird die Statistik von Kallmann zitiert und der Schluss gezogen: »Ungeachtet der Tatsache, dass einige Zwillingspaare von Kind an getrennt aufgewachsen sind, war die Aussicht von derselben Bedeutung. Das beweist deutlich - und solche Resultate sind von anderen bestätigt worden -, dass es angesichts der Belastungen des Lebens einen prädisponierenden Faktor gibt, der für eine Anfälligkeit sorgt, die zur Entwicklung von Schizophrenie führt.« Linus Pauling (5) sagt: »Ich bin sicher, dass die meisten Geisteskrankheiten chemischen Ursprungs sind und dass die daran beteiligte chemische Anomalie gewöhnlich das Resultat einer Anomalie in der genetischen Konstitution des Individuums ist.« Ein bekannter britischer Psychiater schreibt anlässlich der Erörterung biochemischer Konzeptionen der Schizophrenie (6): »Die Evidenz für eine genetische Verursachung der Schizophrenie wird inzwischen als überwältigend anerkannt, obwohl die exakten Details noch nicht bekannt sein mögen. Kallmann (1953) hat eine große Menge von Beweismaterial zusammengetragen, das für die Hypothese spricht, dass ein angeborener Einzelfaktor des rezessiven Typs die genetische Ursache der Schizophrenie darstellt.«

In diesen Feststellungen kommen zwei Annahmen zum Ausdruck, die zwar besonders verbreitet zu sein scheinen, meines Wissens aber keine tatsächliche Begründung gefunden haben: 1. dass es Menschen gibt, die einem ähnlichen Stress oder psychogenen Trauma ausgesetzt gewesen sind wie Schizophrene, ohne dass es bei ihnen zur Ausbildung von Schizophrenie gekommen ist; 2. dass es viele Fälle von eineiigen Zwillingen gibt, die von ihrer Kindheit oder Säuglingszeit an in getrennten und verschiedenen Umgebungen aufgewachsen und trotzdem beide schizophren geworden sind.

Was den ersten Punkt betrifft, so können wir, solange keine gültige Theorie der psychogenen Verursachung von Schizophrenie existiert, nicht angeben, worin das psychische Trauma für den angehenden Schizophrenen besteht. Bestimmt handelt es sich nicht um Eindeutigkeiten wie Schläge, Vergewaltigung, Armut oder die überstrapazierte Auffassung von Ablehnung.

Die Arbeiten von Lidz, Bowen2 und Weakland bieten Gesichtspunkte für die komplizierte Familiensituation, in der sich Schizophrenie entwickeln kann. Auf der anderen Seite haben die mehr biologisch orientierten Wissenschaftler eine einfachere Ansicht von der Trauma Bildung. So stellt Kallmann zum Beispiel fest (7):

Aus diesem einsamen Winkel des psychiatrischen Auges ist kein Grund dafür zu erkennen, alle Spielarten der Psychopathologie in einer rätselhaft vielgestaltigen Kategorie der nichtspezifischen Art Anfälligkeit unterzubringen. Das wird aber getan, wenn die Ursache mehr in gestörten zwischenmenschlichen Beziehungen gesehen wird als in der Folge einer schweren Fehlanpassung oder wenn alle Formen von Geisteskrankheit auf kulturelle Zwänge, nachgeburtliche Unvollkommenheiten der Mutter oder andere allgemeine Mängel des Menschendaseins zurückgeführt werden. In der Tat können nur Menschen mit einer richtigen Psychose auf ungünstige Umweltbedingungen reagieren, doch gibt es eine Fülle von Beweismaterial dafür, dass nicht alle Menschen das tun. Gewisse Menschen haben anscheinend die Fähigkeit, sich jeglicher Verbindung von bedrückenden Umständen anzupassen, ohne eine progressive Psychose auszubilden. Die lange Liste solcher bestimmbaren Frustrationen umfasst das körperliche Ungemach des Hungers, völlige Erschöpfung und anhaltende bösartige Krankheit ebenso wie extremen emotionalen Stress und vielerlei Fehlverhalten der Eltern. Einige dieser anpassungsfähigen Personen kommen aus Familien oder kulturellen Bereichen, die bei einem anderen Mitglied ihrer Gruppe eine echte Psychose erzeugen... Tatsächlich gibt es in der normalen Bevölkerung Menschen, die fähig zu sein scheinen, sich ausgesprochenen Lebensbelastungen anzupassen, ohne dass eine Beeinträchtigung ihrer genetisch bedingten Fähigkeit erkennbar würde, einen Zustand körperlicher Gesundheit und eines emotionalen Gleichgewichts aufrechtzuerhalten. [Hervorhebungen von mir]

Diese Feststellungen treffen den Kern des wenig erhellten Problems von Anlage und Umwelt. Wenn wir annehmen, dass Menschen, die zusammenbrechen, schlechte Erbanlagen haben, und Menschen, die gesund bleiben, gute, dann haben wir nur zwei nutzlose Kategorien gebildet, weil wir nichts tun als wiederholen, dass einige zusammenbrechen und andere nicht, und daraus schließen, dass sie so geboren sein müssen.

Da ist erstens das Problem, was psychogenes Trauma ist (8), und zweitens die unumgängliche Tatsache, dass es sich bei der Geisteskrankheit um etwas handelt, was in der und durch die Bevölkerung produziert wird, deren Untersuchung noch auf andere Weise erfolgt als nur mit genetischen Mitteln. Selbst Anhänger einer genetischen Grundlage der Schizophrenie anerkennen die Bedeutung einer Prägung durch die Umwelt. Und viele anerkennen die Schwierigkeit, soziale und biologische Faktoren zu trennen.

Und dann gibt es hinsichtlich der überaus wichtigen Trauma Konzeption in der Geisteskrankheit des Menschen einen Zeitfaktor, der vermutlich nur durch Längsschnittuntersuchungen aufgedeckt werden kann. Dieser Zeitfaktor schafft vermutlich eine »genetische Voreingenommenheit«, durch welche die Eigenschaften eines Kindes, welche in Widerspruch zu seiner besonderen Familienrolle stehen, einer negativen Auslese unterzogen werden können, wobei ihre Bedeutung mit der Zeit steigt. Würde zum Beispiel eine Mutter, die ständig Bestätigung ihrer mütterlichen Fähigkeiten braucht, ein passives Kind zur Welt bringen, so würde das nicht nur zu einer unglücklichen Beziehung führen, sondern mit den Jahren würden die steigenden Frustrationen und Misserfolge auch ein wachsendes Vorurteil gegen das Kind durchsetzen, damit es der schuldige Teil bleibt. Ist der Vater in seiner Rolle ebenfalls schlaff, so wird für ihn eine große Versuchung bestehen, sich mit der Mutter gegen die »Affektlosigkeit« des Kindes zu verbünden. Das Kind wird zunehmend affektlos werden und die Ansicht seiner Eltern bestätigen.

Der Schluss, wir wussten nichts über psychogenes Trauma, wäre irreführend, denn bei ausreichenden Informationen würden psychodynamisch orientierte Beurteilungen über einen gegebenen Fall innerhalb bestimmter Grenzen übereinstimmen. Die Tatsache bleibt jedoch, dass »ausreichende Informationen« auf Krankenblättern gewöhnlich fehlen, die zusammen mit mündlichen Berichten über verstorbene Verwandte einen Großteil der Daten ausmachen, auf denen die meisten genetischen Studien fußen. Ernst (9) fand in einer Untersuchung von 50 schizophrenen Frauen acht, die ihren Krankengeschichten zufolge aus »geordneten Verhältnissen« kamen. Er stattete ihrem Zuhause einen persönlichen Besuch ab und fand die Familienbeziehungen ganz abnorm.

Ohne ausreichende Informationen und eine hinlängliche Kenntnis der Ursachen, die für den Schizophrenen zu einem psychogenen Trauma führen, müssen Einschätzungen der relativen Auswirkungen der Heredität strittig, wenn nicht sogar voreilig bleiben. Galton hoffte 1883, dass das Problem Anlage oder Umwelt sich mittels der Zwillingsforschung ganz erheblich klären ließe. im Bereich der Schizophrenie sind solche Forschungen von Kallmann, Slater, Essen-Möller, Rosanoff und Luxenberger unternommen worden. Was diese Studien betrifft, besteht eine solche Vermischung von Faktum und Fiktion, dass ich vorhabe, die gesamte Literatur zu referieren, die der Erörterung von allgemeinen Problemen beim Studium der Erblichkeit von Schizophrenie dient. Zur Frage von Zwillingen, die angeblich getrennt aufgewachsen sind und beide eine Schizophrenie ausgebildet haben, sei vorerst nur gesagt, dass eine erschöpfende Untersuchung der amerikanischen und europäischen Literatur der letzten vierzig Jahre lediglich zwei solche Fälle zu tage gefördert hat.

Obwohl diese beiden Fälle, was das Auftreten von Schizophrenie betrifft, vielleicht nur zufälligen Charakter haben, ist in der Literatur häufig von ihnen die Rede gewesen, so dass ich im einzelnen auf sie eingehen will. Offensichtlich geht das Gerücht, dass noch viele andere solche Fälle existieren, auf beiläufige Bemerkungen wie die von Hoagland (4) zurück, wie auch auf die Tatsache, dass Kallmann in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1946 (10) eineiige Zwillinge nach »getrennt« und »nicht getrennt« kategorisierte. Seine Bezeichnungen beziehen sich jedoch nur auf eine Trennung fünf Jahre vor der Psychose.

Da seine Altersgruppe von 15 bis 44 Jahre reichte und das Durchschnittsalter mit 33 Jahren (S. 317) angegeben wird, ist es klar, dass die Zwillinge in den Jahren ihrer Prägung nicht getrennt waren. Tatsächlich blieben die meisten von ihnen noch bis über das übliche Heiratsalter hinaus zusammen; und selbst diese späte Trennung führte zu einer bedeutenden Abnahme der Konkordanz hinsichtlich Schizophrenie. Gedda (11) führt in seinem umfassenden Referat der Literatur über Zwillingsforschung irrtümlicherweise die Fälle von Richmond (12) und Ley (13) als Beispiele für getrennt aufgewachsene Zwillinge an. Offensichtlich machte er diesen Fehler, weil Richmond betonte, wie verschieden die Umwelten seiner Zwillinge trotz ihres gemeinsamen Aufwachsens gewesen waren, und der Fall von Ley war einfach ein übersetzter Bericht über die Zwillinge von Craike und Slater (14) - einem der beiden Fälle, die in der medizinischen Fachliteratur dargestellt worden sind.

 

Das Problem

Die Voreingenommenheit, mit der eine Untersuchung begonnen wird, kann ihr eine Richtung geben, die nur durch eine überwältigende, über einen längeren Zeitraum wirkende Evidenz geändert werden kann. Behalten wir das im Auge und betrachten wir die Geschichte der genetischen Untersuchungen der Schizophrenie sowie das Beweismaterial, auf denen sie beruhen.

Bevor man daran ging, genetische Untersuchungen anzustellen, war die psychiatrische Meinung, beeinflusst von der deutschen Psychiatrie, dass die Schizophrenie eine angeborene Störung sei, die zu einer Degeneration der Hirnrindenzellen führe. In den zwanziger und dreißiger Jahren wurden genetische Untersuchungen in der Mehrzahl von deutschen Forschern durchgeführt, und seit 1938 ist der wichtigste Versuch der von Kallmann, einem Amerikaner, der aus Deutschland emigriert war, wo er bei der ersten Autorität auf diesem Gebiet, Rudin, gearbeitet hatte. In den letzten fünfzehn Jahren hat es neben Kallmanns gewichtigen Beiträgen überraschend wenig genetische Untersuchungen der Schizophrenie gegeben. In Skandinavien sind Studien angestellt worden, die viel wichtiges Material liefern, sich aber mehr mit den Grundproblemen des Vorkommens von Schizophrenie in der Bevölkerung befassen als mit der Erforschung der Frage, wie groß die Krankheitsaussicht in den Familien ist. Slater, ein englischer Psychiater, und Essen-Möller, ein Skandinavier, haben jeweils Zwillingsforschungen betrieben, auf die gelegentlich hingewiesen wird und die hier im einzelnen besprochen werden sollen, aber Kallmann ist die einzige bedeutende Quelle, auf welche die meisten Autoren, die über Schizophrenie schreiben, einschließlich der Verfasser moderner Lehrbücher, Bezug nehmen.

Ein wirklicher Versuch nach den Mendelschen Regeln lässt sich zwar mit Pflanzen und Tieren, aber nicht mit Menschen durchführen. Erstens haben wir keine reinen Stämme, mit denen wir beginnen könnten; wir können die 72 Faktoren nicht nachweisen, und wir ziehen Bruder und Schwester nicht auf. Zweitens bleibt die Umwelt des Menschen nicht konstant, wie das für Mendelsche Untersuchungen erforderlich ist. (Diesen Punkt hat Dr. Böök in seinem Beitrag betont.) Penrose, der Medizingenetiker (15), hat festgestellt, dass in Bezug auf verbreitete Krankheiten, d. h. jene mit einem Vorkommen von 1 Prozent oder mehr, keine praktische Hilfe von genetischen Prognosen erwartet werden kann. Er erwähnt besonders die Schizophrenie und bemerkt, dass eine genaue Geschichte der Variabilität des klinischen Typs, des Anfalls, Alters und Auftretens augenblicklich alle einfachen genetischen Erklärungen ausschließt. Nach seiner Meinung sind für diese Störung Bevölkerungsübersichten dringend erforderlich. Festgestellte Erbkrankheiten, denen gegenüber sich genetische Untersuchungen als unschätzbar erwiesen haben, sind gewöhnlich Störungen mit einem Vorkommen von 1:10 000 oder weniger. Verbreitete Störungen wie Tuberkulose, Lepra, Schwachsinn oder Kriminalität wurden einst als erblich bedingt angesehen, werden inzwischen aber nicht mehr so betrachtet, und wenn, dann wird der hereditären Empfänglichkeit nur eine geringe Rolle zugeschrieben (16, 17).

In diesem Zusammenhang ist es lehrreich festzustellen, dass deutsche Psychiater ihre ersten Untersuchungen auf der Basis einer Theorie der »erblichen Belastung« oder »Degeneration« unternahmen, die Schwachsinn, Epilepsie, Alkoholismus, Kriminalität und Irrsinn als die Folge »schlechter Erbanlagen« vage miteinander verband; diese Theorie wurde ergänzt durch Lombrosos anthropologische Messungen an Kriminellen, und Kretschmer folgte ihr in seinen Studien über Körperbautypus und Geisteskrankheit. Ohne Zweifel begünstigte die Kultur jener Zeit solche Vorstellungen ebenso beträchtlich, wie sie das mit feststehenden Ideen über gut und böse und über hierarchische Gesellschaftsklassen ohne große Mobilität tat. Heute scheint Kallmann im wesentlichen allein zu stehen mit seiner Behauptung, es gebe eine Resistenz des Mesoderms gegen die Ausprägung des schizophrenen Genotyps beim athletischen Habitus sowie eine Beziehung zwischen Körpergewicht und Resistenz gegen Schizophrenie (18, 19). Andere Beobachter wie Bleuler (17) und Rees haben die allgemeine Erfahrung bekräftigt, dass in der Untersuchung kleine und große, dünne und dicke Schizophrene anzutreffen sind; und Slater fand bei seinen Zwillingspaaren nicht bestätigt, dass der größere Zwilling der weniger kranke ist. Tatsächlich hat Kallmann selbst einen Bericht über Zwillinge mit Morgnani-Syndrom veröffentlicht, der beweist, dass seine Regel nicht, wie er behauptete, unveränderlich ist.

In dem Maße, wie die westliche Kultur unter der Führung von England und den Vereinigten Staaten sich ihrer Unterklasse bewusster wurde, erweiterte man die genetischen Untersuchungen und schrieb den sozioökonomischen Faktoren eine überwiegende Rolle bei der Verursachung z. B. von Tuberkulose, Lepra und Kriminalität zu. Man entdeckte, dass bestimmte Fälle von Schwachsinn nicht auf eine unveränderliche Konstitution zurückgeführt werden müssen, sondern auf eine Kombination von Vernachlässigung und Analphabetentum, und man erkannte, dass an der Kriminalitätsrate Klassenvorurteile und Arbeitslosigkeit einen Großteil der Schuld tragen. Inzwischen ist nun die Schizophrenie im Grunde die einzige verbreitete Krankheit, die immer noch mit den Augen der Mendelschen Vererbungstheorie betrachtet wird.

Von den psychodynamisch orientierten Wissenschaftlern hat wohl einzig Bleuler die Erblichkeit der Erwachsenen-Schizophrenie untersucht; und meines Wissens war er der erste, der die Frage aufwarf, ob eineiige Zwillinge nicht in einer besonderen Umwelt aufwachsen, so dass man sie nicht auf rein genetischer Basis mit zweieiigen Zwillingen vergleichen könne. Fast alle anderen Forscher scheinen unter dem Einfluss der deutschen Psychiatrie zu stehen und damit eine ähnliche Voreingenommenheit zu repräsentieren. Das ist begreiflicherweise eine wichtige Überlegung; denn das Studium geistiger Gebrechen zeigt, dass eine Hand voll Forscher, unbeeinflusst von der gängigen Medizinermeinung, eine nachdrücklich vertretene Theorie revolutionieren können. Der Schwachsinn bildet eine nützliche Analogie zur Schizophrenie, da ursprünglich alle Arten von Schwachsinn, abgesehen von einer groben quantitativen Klassifikation, in einen Topf geworfen und auf »schlechte Erbanlagen« zurückgeführt wurden. Kanner demonstriert diesen Trend, wenn er folgende Zahlen über die angebliche Beziehung von Heredität und Geistesstörungen anführt: 1914 77%, 1920 90%, 1929 80%, 1934 29%. Unverrückbare Ansichten über Heredität können ebenso bequem und unproduktiv sein wie der mohammedanische »Schicksalsglaube«, da sie einen davon freisprechen, nach naheliegenden Ursachen suchen zu müssen. Einige Genetiker von heute sind sich dieser Gefahr durchaus bewusst. Bei der Untersuchung des Beweismaterials für die Erblichkeit von Schizophrenie dürfen deshalb zwei Faktoren nie in Vergessenheit geraten: Die Vorstellungen von der genetischen Basis der Geistesstörungen sind nicht frei von einer kulturellen Komponente; und einige Störungen sind deshalb mit dem Etikett der Heredität versehen worden, weil ihre Ätiologie unverständlich war.

Es gibt eine Anzahl von Fragen zur Erblichkeit der Schizophrenie, die auch bei genauem Studium der aus der Literatur gewonnenen Daten unbeantwortet bleiben. Folgende Punkte werden als ernsthafte theoretische und methodologische Hindernisse für die genetische Untersuchung der Schizophrenie angesehen:

  1. Die psychiatrischen Störungen, bei denen man sich auf Erbbedingtheit geeinigt hat, zeigen auch Symptome phänotypischer Defekte wie zum Beispiel Huntington Chorea und Amentia phenylpyruvica; und dabei sind derartige Störungen selten - ihr Vorkommen bewegt sich allgemein in der Größenordnung von 1:10 000. In Verbindung mit Schizophrenie hat sich kein phänotypischer Defekt gefunden, und dabei handelt es sich um eine verbreitete Störung. In den meisten genetischen Untersuchungen wird eine Häufigkeit von 1 Prozent zugrunde gelegt, doch schließt dieser Prozentsatz nicht die Möglichkeit ein, dass es viel mehr Fälle geben mag, die nur nicht hospitalisiert worden sind. Böök fand in seiner Großstudie nordschwedischer Gemeinden eine Aussichtsquote von 3 Prozent. Obwohl man von Zahlen, die für Schweden gelten, nicht auf andere Länder schließen sollte, sieht es doch so aus, als würden Bevölkerungsstudien oft größeres Vorkommen von Schizophrenie feststellen als das eine Prozent, von dem gewöhnlich ausgegangen wird.

  2. Nicht nur, dass die Diagnosestellung Schizophrenie eine Frage der psychiatrischen Geschmacksrichtung ist; auch die Chancen, dass jeder individuelle Fall als Schizophrenie diagnostiziert wird, steigen mit jedem Jahr, das der Patient in einer Nervenklinik verbringt. Penrose stellte in England fest, dass 33 Prozent der Ersteinweisungen als »Schizophrenie« und 17 Prozent als »manisch-depressives Irresein« diagnostiziert wurden. Nach 20 Jahren war die Diagnose auf Schizophrenie in diesen Fällen auf 69,8 Prozent gestiegen, während die Diagnose »manisch-depressiv« auf 7,4 Prozent abgesunken war. Hoch führt die folgende Statistik an, um zu demonstrieren, dass die psychiatrische Diagnose bei Einweisung in ein Staatskrankenhaus mit der Lokalität wechselt. Da die Diagnose für die Validität genetischer Untersuchungen entscheidend wichtig ist, könnte eine derartige Variation einen wichtigen Stichprobenfaktor darstellen.

    JAHR
    1926
    1926
    1930
    1930
    1934
    1935
    LOKALITÄT
    Kalifornien
    New York
    Kalifornien
    New York
    Mississippi
    Mississippi
    SCHIZOPHRENIE
    20,8 %
    26,7 %
    21,7 %
    25,2 %
    21 %
    21 %
    MANISCH-DEPRESSIV
    23, 2 %
    13 %
    12 %
    8 %
    20,7 %
    4,6 %

    Die Schizophrenie-Diagnose lässt sich nicht durch objektive Tests herbeiführen wie die Feststellung von Zucker im Urin, und deshalb muss man gegenüber ansonsten überzeugenden Statistiken skeptisch sein. Man muss es um so mehr, wenn man bedenkt, dass führende Genetiker - z. B. Luxenberger, Essen-Möller und Slater - von der Erbbedingtheit der Schizophrenie so überzeugt sind, dass sie ganz offen bei ihrer Diagnosestellung eine Familiengeschichte der Schizophrenie zu Hilfe nehmen. Mag das gerechtfertigt sein oder nicht, es ist jedenfalls wissenschaftlich fragwürdig, das so erlangte Material als »Beweis« für einen anlagebedingten Ursprung zu verwenden.

    Ferner können sogar fraglos »körperliche« Krankheiten in Familien vorkommen, ohne unbedingt eine genetische Grundlage haben zu müssen. Das scheint z. B. bei Beriberi der Fall zu sein; »angeboren« ist lediglich die Bereitschaft, vitaminarme Nahrung zu bevorzugen, wobei die Kinder diese Bereitschaft von den Eltern übernommen haben und an ihre eigenen Kinder weitergeben werden.

    »Blinddiagnosen« sind in genetischen Untersuchungen nicht benutzt worden; und besonders wenn man den anderen Zwilling eines als schizophren indizierten Falls diagnostiziert, mag der Zug zur »Schizophrenie« tatsächlich sehr groß sein. Slater stellt in seiner Studie offen fest: »Um diese Zahl von 76 Prozent [berichtigte Morbiditätsrate] zu erreichen, haben wir den Paaren mit eindeutiger Diagnose eine Anzahl von Fällen hinzugefügt, in denen die Diagnose der Schizophrenie nicht gesichert war.« Er bespricht dann sieben der 28 eineiigen Paare und schließt: »Es würde jedoch als spitzfindig erscheinen, wollte man sie ausschließen, da Schizophrenie in jedem Fall wahrscheinlicher ist als Normalität oder irgendeine andere Diagnose.« Der Spielraum zwischen Schizophrenie und Normalität ist beträchtlich, und man sollte meinen, Slater müsste über die Diagnose »Schizophrenie« oder »Grenzfall« mehr in Verlegenheit geraten. Eine Reihe von Forschern verficht die Theorie der »schizoiden Persönlichkeit« als Vorläufer der Schizophrenie und vermengt daher manchmal psychotische und nicht psychotische Fälle unter dem Begriff »Schizophrenie«.

    Das Problem der Nosologie auf diesem Gebiet wird durch die angenommene Beziehung zwischen schizoider Persönlichkeit und Schizophrenie kompliziert. Viele Forscher gehen von der »Schizoiden Persönlichkeit« als dem Genotyp aus und betrachten die »Schizophrenie« als die phänotypische Äußerung dieses anatomischen oder metabolischen Defekts. Andere Forscher wiederum betrachten anscheinend die Schizophrenie als den Genotyp und die schizoide Persönlichkeit als die schwächere Äußerung dieses genetischen Defekts. Dass keine unveränderliche Beziehung zwischen schizoid und schizophren existiert und die Diagnose »schizoide Persönlichkeit« vage und allumfassend ist, macht den Sachverhalt noch komplizierter. Kretschmer beschreibt die schizoide Persönlichkeit als ungesellig, still, reserviert, ernst, eigenbrötlerisch; oder als zaghaft, schüchtern, gebrechlich, empfindsam, nervös, labil, pedantisch; oder als freundlich, gutmütig, liebenswürdig, ruhig, schwerfällig oder stumpfsinnig. Mit drei so umfassenden Kategorien an der Hand hat der genetische Diagnostiker einen weiten Spielraum, der Schizophrenie eine schizoide Basis zuzuschreiben. Schätzungen, wie groß das Vorkommen der schizoiden Persönlichkeit in der Durchschnittsbevölkerung ist, schwanken innerhalb derartig weit gezogener Grenzen, dass sie bedeutungslos sind. Kallmann ist der einzige Autor, der in den eineiigen Zwillingsgruppen keine normalen Zwillinge und keine Überschneidungen mit Affektpsychosen findet. Slater macht dazu ebenfalls eine Bemerkung und stellt fest, dass er selbst diesen Befund nicht bestätigen kann.

    Morris hat die Schizoidie-Schizophrenie-Hypothese in seiner Nachuntersuchung in Zweifel gezogen, die er an Kindern vornahm, welche vor zwanzig Jahren in einer Poliklinik diagnostiziert worden waren. Jene, die schizophren wurden, waren häufiger als extravertiert diagnostiziert worden; vermutlich eine Zufälligkeit, doch zeigte sich mit Bestimmtheit keine positive Korrelation von Introvertiertheit und Schizophrenie. Johansen schätzte, dass 21,1 ± 4,8 Prozent ihrer Gruppe von Schizophrenen als schizoide Persönlichkeiten beurteilt werden könne, und meint, das liege innerhalb des Rahmens einiger Bevölkerungsschätzungen. Birren stellte in einer Studie über 38 Kinder, die später psychotisch wurden, fest, dass 75 Prozent aus Häusern kamen, in denen starke Spannungen herrschten, und dass viele seiner Fälle auf die häusliche Situation mehr mit Rebellion als mit zunehmender Apathie und Verschlossenheit reagierten. Bei diesen Fällen brach die Psychose in einem späteren Alter aus. Frazees Studie über 23 Jungen, die später schizophren wurden, zeigt, dass nur die Hälfte Symptome hatte, die für die schizoide Persönlichkeit charakteristisch sind. Nur zwei von ihnen waren bei einer Untersuchung in einer Kinderklinik als »schizoid« diagnostiziert worden.

    Leonhard, Rennie, Schulz und Bleuler haben alle zyklische Schizophrenie in Familien mit verschiedenen Charakterstörungen beschrieben und keine Beziehung zwischen der Schwere der Schizophrenie und dem Vorkommen in der Familiengeschichte festgestellt. Ein besonders interessanter Befund ist in dieser Hinsicht Leonhards Darstellung einer »reaktiven, atypischen« Schizophrenie mit guter Prognose und einer affektiv-präpsychotischen Persönlichkeit, die bei Patienten vorkommt, in deren Familien eine Reihe von Schizophrenie-Fällen aufgetreten sind.

    Rudin, einer der ersten psychiatrischen Genetiker, untersuchte 735 Personen, von denen ein Bruder oder eine Schwester schizophren waren. Er stellte fest, dass bei 58 ein Elternteil schizophren war und 130 Eltern mit anderen Psychosen hatten. Von den Nachkommen zweier Generationen von 20 schizophrenen Patienten entwickelten nur drei eine schizophrene Psychose, während eine Anzahl von ihnen andere Geistesstörungen hatte. Bleuler berichtete 1930 über acht Schizophrene, in deren Familiengeschichte keine Schizophrenie vorgekommen war. Ihre präpsychotische Persönlichkeit war nicht schizoid, und bei sieben von den acht bestand eine ganz ungünstige Prognose - bei dem achten, der psychotisch wurde, war es für eine Beurteilung noch zu früh.

    Penrose untersuchte in einem Hospital in Ontario während eines Zeitraums von 18 Jahren alle bekannten Fälle von Geisteskrankheit, die bei mindestens zwei Familienmitgliedern aufgetreten waren. Er berichtet, dass bei Verwandtenpaaren Schizophrenie und Affektpsychosen auftraten. Von 5456 Verwandtenpaaren waren nur 8,7 Prozent Väter, dagegen 24,5 Prozent Mütter; 30,7 Prozent waren andere Verwandte. Während Väter unter 35 einen höheren Prozentsatz an Schizophrenie als an Depressionen aufwiesen, war es bei den Müttern genau umgekehrt. Für das Alter der Ersteinlieferung wurden Korrelationen hergestellt mit dem Ergebnis, dass gleichgeschlechtliche Geschwister sowie Mütter und Söhne am meisten korrelierten. Penroses Angaben sind auf streng genetischer Basis schwer zu erklären und demonstrieren die Verflechtung von Schizophrenie und Affektstörungen. Eine weitere Studie multipler Psychosen in ein und derselben Familie wurde von Zehnder in der Schweiz angestellt; sie untersuchte nur Geschwister, und ihre Zahlen über gleichgeschlechtliche Paare kommen denen von Penrose sehr nahe. (Diese Befunde hinsichtlich gleichgeschlechtlicher Geschwister sind interessant und sollen noch besprochen werden.)

    Von Planansky stammt der interessante Gedanke, dass die Untersuchung hospitalisierter Schizophrener, sofern die schizoide Persönlichkeit die genotypische Repräsentation der Schizophrenie ist, nur ein Notbehelf sein kann. Er meint, die Frage der »schizoiden Persönlichkeit« solle an Familien ohne einen indizierten Fall von Schizophrenie untersucht werden.

  3. Der Modus der biologischen Vererbung von Schizophrenie ist ungeklärt. Die Mehrzahl der älteren Autoritäten betrachtete die Schizophrenie als dominante Störung, doch hat die Rezessivität heute mehr Anhänger. Man hat behauptet, dass es sich um eine rezessive Störung mit Einzelfaktor-Vererbung und variabler Penetranz handle, aber die meisten genetischen Autoritäten widersprechen offenbar dieser Behauptung. Das folgende Material spricht gegen Rezessivität, ganz zu schweigen von einer Einzelfaktor- oder auch nur Doppelfaktor-Vererbung.

    Bei rezessiven Störungen haben die Betroffenen im allgemeinen nicht betroffene Eltern, und die Vererbung erfolgt auf Seitenlinien. Alle Geschwister eines als behaftet indizierten Falles haben 25 Prozent Aussicht darauf, selbst behaftet zu werden, und die Eltern stehen wahrscheinlich damit in Beziehung, wenn die Krankheit selten ist. Wenn die Schizophrenie rezessiv ist, müsste sie bei den Geschwistern des indizierten Falles häufiger vorkommen als bei dessen Kindern. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall; z. B. findet Kallmann eine Aussichtsrate von 16,4 Prozent bei den Kindern und von 11,5 Prozent bei den Geschwistern. Ebenso stellt er für Kinder zweier schizophrener Elternteile eine Aussicht von 68 Prozent fest, während Rudin 52 Prozent, Schulz 38 Prozent und Elsässer 39 Prozent feststellten. Diese Zahlen müssten eindeutig höher liegen, sollten sie als Argument für einfache Rezessivität dienen. Außerdem ist Kallmanns Feststellung einer Aussichtsrate von 85 Prozent bei eineiigen Zwillingen schwer mit den 68 Prozent in Einklang zu bringen, weil nach den Gesetzen der rezessiven Vererbung beide 100 Prozent betragen müssten. Die Verfechter eines rezessiven Vererbungsmodus umgehen diese Zahlen, indem sie Schätzungen der variablen Penetranz anführen. Der Genetiker Neel hat diese Praxis als eine bequeme Weise bezeichnet, mit Zahlen zu jonglieren.

    Ein letztes Argument, das zur Begründung eines rezessiven Vererbungsmodus angeboten wird, ist die Häufigkeit der Blutsverwandtschaft. Diese beläuft sich auf 18 Prozent bei der Amentia phenylpyruvica und auf 23 bis 38 Prozent beim Laurence-Moon-Biedl-Syndrom, die als rezessive Störungen nachgewiesen sind. Kallmann fand in seiner Berliner Großstudie keinen erhöhten Grad an Blutsverwandtschaft, sprach in seinem Bericht von 1953 aber von einer Häufigkeit von 5 Prozent. Dieser Befund ist wohl ohne Signifikanz; denn die Zahlen in seinen beiden Studien stimmen erstaunlich überein. Slater berichtete auf dem Ersten Internationalen Kongress für Genetik 1956 über eine Blutsverwandtschaftsrate von 5 Prozent, während Odegaard und Herloggen auf derselben Versammlung keine Erhöhung feststellten. Böök fand auf der Basis seiner Großuntersuchung an der Bevölkerung in Schweden ebenfalls keinen Anstieg. Hanhart fand in einer Gegend mit einem hohen Prozentsatz an Ehen unter Blutsverwandten auch kein gehäuftes Vorkommen von Schizophrenie.

    Dieser Mangel an Übereinstimmung hinsichtlich des Modus der biologischen Vererbung der Schizophrenie ist natürlich an sich noch kein Argument für oder gegen die hereditäre Grundlage dieser Krankheit. Er soll hier nur festgestellt werden, um zu zeigen, dass die Genetiker selbst viele ungelöste Probleme beim Nachweis der hereditären Beschaffenheit der Schizophrenie haben.

  4. Keine Beziehung ist festgestellt worden zwischen erblicher Belastung, Art der Schizophrenie, Alter beim Krankheitsbeginn und Krankheitsverlauf. Masterson untersuchte 153 Fälle von Jugendschizophrenie, von denen 67 Prozent einen schlechten Verlauf hatten. Zu den Faktoren, die keinen Bezug zum schlechten Verlauf hatten, gehörte die Familiengeschichte.

    Kanner fand in einer gründlichen Untersuchung der Verwandten von 100 schizophrenen Kindern keine hereditären Trends und keine Häufung des Vorkommens von Schizophrenie bei Vorverwandten oder Seitenverwandten; insgesamt wurden 973 Verwandte und 131 Geschwister untersucht. Schulz und Leonhard studierten typische und atypische Fälle von Schizophrenie und stellten fest, dass bei Eltern der typischen Fälle ein Prozent Schizophrenie vorkam und bei Eltern der atypischen Fälle 6 Prozent. Der Typ der Schizophrenie und die genetische Familiengeschichte wurden nicht in Beziehung gesetzt. Leonhard kam in einer anderen Studie zu dem Schluss, dass zwischen der Diagnose eines indizierten Falles und der Art der Erkrankung in der Familie nur wenig Beziehung bestehe, und führte die Überschneidung von affektiven und schizophrenen Störungen an. Lundby untersuchte eine Gruppe norwegischer Seeleute mit einem hohen Vorkommen an Schizophrenie. In ihren Familien trat Schizophrenie, vermutlich zufällig, seltener auf als in der norwegischen Durchschnittsbevölkerung. Johansen fand in einer sehr lückenlosen Untersuchung 138 männlicher Schizophrener keinen Unterschied im Alter zur Zeit des Ausbruchs oder in den Symptomen der Patienten mit einer positiven Familiengeschichte und jenen ohne. Canavan und Clark untersuchten 381 Kinder, bei denen ein Elternteil als schizophren diagnostiziert worden war. Sie hielten 86 davon für emotional oder sozial abweichend und verglichen sie mit 500 Kindern nicht-psychotischer Eltern. In dieser Gruppe fanden sich zufällig 145 Kinder, die Abweichungen aufwiesen.

    Alanen entdeckte keine Beziehung zwischen der Psychose eines Elternteils und jener des Kindes, ausgenommen bei jener Art von Fall, die M. Bleuler beschreibt, wo in der Familie eine Ähnlichkeit der Symptome besteht, die wahrscheinlich auf »Lernen« zurückgeht. Alanen fand in der benignen Patientengruppe mehr psychotische Mütter als in der malignen. Darüber ist bereits berichtet worden. Alanens Abneigung dagegen, über hereditäre Faktoren hinwegzugehen, macht seine Befunde nur noch beeindruckender. Der Leser ist gezwungen, seine Monographie zu Rate zu ziehen.

    Natürlich lässt sich einwenden, es sei nicht überraschend, dass das Bild der Schizophrenie je nach der Umwelt des Individuums und den auslösenden Ursachen wechselt. Ein solches Argument, so stichhaltig es an sich sein mag, verträgt sich nicht mit einem anderen Argument der Genetiker: dem nämlich, dass die auffallende Entsprechung in Krankheitsbeginn und Symptomen bei eineiigen Zwillingen Beweis für ihre genetische Gleichartigkeit sei.

  5. Es gibt keine Evidenz für eine hereditäre Basis zur nosologischen Klassifikation der Schizophrenie, auch nicht für die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen diesen Klassifikationen und angebotenen konstitutionellen Defekten. Vermutlich besteht ein Haupthindernis für das genetische Studium der Schizophrenie in dem oben erwähnten Problem der Diagnose. Nicht nur, dass die Diagnose von den psychiatrischen Moden und der Dauer des Aufenthalts im Hospital beeinflusst wird, es muss auch noch jede Stichprobe in punkto Alter, Geschlecht, sozioökonomisches Niveau und ethnische Gruppe abgestimmt werden, wenn sie sinnvoll sein soll. Das wird bei der üblichen Untersuchung nicht getan. Die Herstellung mathematischer Formeln zur Berücksichtigung von Alters- und Mortalitätsunterschieden hat nur teilweise zum Erfolg geführt, und einige Fachleute haben überhaupt an ihrer Zweckmäßigkeit gezweifelt. Eine Formel wie die von Weinberg aufgestellte, kann den Grad der Konkordanz bei Zwillingen um 15 bis 20 Prozent gegenüber den Rohdaten erhöhen.

    »Stichprobe« bezieht sich nicht nur auf eine repräsentative Streuung; sie bezieht sich ebenso auf die Beziehung zwischen der spezifischen Umwelt und der Art von psychiatrischer Diagnose, die in dieser Umwelt höchstwahrscheinlich getroffen wird. So nehmen Henderson und Gillespie in der jüngsten Ausgabe ihres Handbuchs paranoide Störungen von schizophrenen Reaktionsweisen aus. Dagegen hat Kolle gezeigt, dass bei Verwandten von »Paranoiden« die verschiedenen Untergruppen der Schizophrenie ebenso häufig vorkommen wie andere nosologische Kategorien. Roth macht darauf aufmerksam, dass Paraphrenie keine genetische Kategorie sei, da sie am häufigsten bei alten Jungfern vorkomme, die ein wenig taub sind und allein leben. Ein Autor beschreibt fünf Fälle von »religiösem Wahn« ziemlich der gleichen Art, der bei katholischen Frauen in Ägypten auftrat. Alle Fälle hatten eine ausgeprägte paranoide Psychose, und bei allen kam es zu einer guten Genesung. Die eindrucksvolle Studie von Eaton und Weil bei den Hutteriten, unter denen sie so gut wie keine Schizophrenie und eine relativ große Zahl von Affektpsychosen antrafen, eignet sich nicht für einfache genetische Erklärungen. Oplers Arbeit, in der demonstriert wird, dass irische und italienische junge Männer in ihren schizophrenen Zusammenbrüchen eine verschiedene nosologische Form zeigen, ist ebenfalls relevant. Roumajon hat auf der Grundlage seiner Erfahrungen in unterschiedlichen politischen, sozialen, rassischen und ökonomischen Milieus in Indochina darauf hingewiesen, dass bestimmte Geisteskrankheiten für bestimmte Kulturen eigentümlich sind. Er stellte neun Fälle dar, aus einem Zeitraum von zwei Jahren gewählt, und machte evident, dass einige Angehörige der Manus, Dobus und Kirchs, die nach westlichen Maßstäben als anomal gelten würden, funktionstüchtige Mitglieder ihrer Kultur sind. Er bemerkte die Unzulänglichkeit der Kraepelinschen Terminologie, soweit es um kulturelle Unterschiede geht.

Wie es scheint, laufen genetische Großstudien, wenn sie nicht wie in der skandinavischen Arbeit einen repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt erfassen, Gefahr, einzelne oder auch Gruppen von Fällen einzubeziehen, die wegen anderer (z. B. sozialer) Faktoren von entscheidender Bedeutung das genetische Bild unklar machen. Dieses Problem stellt sich bei der Arbeit von Kallmann. Zum Beispiel schrieb er beim Vergleich der paranoiden Gruppe mit seinen katatonischen und hebephrenen Fällen dem Paranoid eine weniger starke Heredität zu, da die Kinder dieser Gruppe nur halb soviel Aussicht hatten, schizophren zu werden, wie die »Kerngruppe«. Doch waren die paranoiden Patienten zur Zeit ihrer Hospitalisierung viel älter, und dieser Altersfaktor könnte die Stabilität ihrer Familie und die Sicherheit ihrer Kinder gehoben haben. Diese Möglichkeit zeigt die Arbeit von Johansen auf, der einen signifikanten Unterschied zwischen dem Alter, in dem Schizophrenie ausbrach, und dem Faktum feststellte, dass der Patient aus einer zerrütteten Familie kam.

Der Altersunterschied zwischen Männern und Frauen bei Einlieferung ins Hospital ist beträchtlich und darf nicht außer acht gelassen werden, wenn man untersucht, was mit den Kindern geschieht. In Kallmanns amerikanischen Studien besteht ein Frauenüberschuss von 20 Prozent, und Slater findet in seinen Familienstudien von indizierten Zwillingsfällen 159 weibliche Patienten gegenüber 76 männlichen. Penroses Zahlen habe ich bereits erwähnt; sie korrespondieren mit Zehnders Studie von multiplen Psychosen in derselben Familie. Bei ihr war das Verhältnis von männlichen und weiblichen Fällen 26 zu 63, und 84 Prozent der ins Hospital eingewiesenen Zwillingspaare waren weiblich. Da die Gesamtziffern für Hospitaleinweisungen zeigen, dass die Schizophrenie bei Männern und Frauen fast im Verhältnis von 50 zu 50 vorkommt, legen diese unterschiedlichen Gruppierungen verwandter Fälle eher eine soziale Erklärung nahe als eine genetische. Unter den Vätern der 138 von Johansen eingehend untersuchten Patienten gab es keine Schizophrenen.

Alanen berichtet in einer unlängst veröffentlichten Studie über die Eltern schizophrener Patienten, die auf 156 finnischen Fällen basierte, dass von 152 Müttern und 146 Vätern (das war die Zahl der Eltern, die für eine Untersuchung zur Verfügung standen) 17 Mütter und sieben Väter als psychotisch diagnostiziert worden waren. Sechs Mütter und zwei Väter hatten eine chronische Schizophrenie ausgebildet, und vier Mütter hatten schizophrene Schübe mit völliger Besserung gehabt. Nicht nur, dass der Prozentsatz schizophrener Eltern gering ist; er zeigt auch, abermals einen interessanten Unterschied zwischen den Geschlechtern: zehn Mütter und zwei Väter, eine statistisch signifikante Differenz.

Das unterschiedliche Auftreten der Schizophrenie bei den Eltern ist auch von anderen Forschern als Johansen und Alanen berichtet worden (so z. B. von Pollack und Malzberg und M. Bleuler) und lässt sich schwer auf genetischer Grundlage erklären3. Leider nennen solche Großstudien wie die von Kallmann nur Gesamtzahlen für Elternpaare und geben keine Aufschlüsselung nach Vätern und Müttern. Alanen weist 1956 und 1958 darauf hin, dass die psychiatrische Diagnose bei den Vätern im Vergleich zu den Müttern erheblich schwankt. Er bemerkt, dieser Unterschied gehe vielleicht auf eine Mutter-Kind-Beziehung zurück, die zur Schizophrenie führt. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass die Väter von Schizophrenen in mehreren Studien schwerer eingestuft werden konnten als die Mütter.

Der Versuch, die Schizophrenie mit anderen Krankheiten in Beziehung zu setzen, hat es ebenfalls mit vielen statistischen Fallstricken zu tun. Kallmann untersuchte chronische - arme Staatshospitalinsassen und fand daher ein größeres Vorkommen an Tuberkulose, so dass er schloss:

Dieses statistische Ergebnis ist so schlüssig, dass alle Möglichkeiten des Zufalls ausscheiden und nur eine echte Verbindung der Tendenz zur Schizophrenie mit der hereditär-konstitutionellen Anfälligkeit für tuberkulöse Infektionen als Interpretation in Frage kommt. Es weist auch auf ein identisches Grundmuster der biologischen Vererbung für diese beiden Prädispositionen hin und bestätigt die Annahme, dass Schizophrenie und Tuberkulose rezessive Züge repräsentieren.

Niemand zweifelt daran, dass jemand, der sich tatsächlich eine Tuberkulose zuzog, dafür anfällig gewesen ist, doch sind die Umweltbedingungen von solcher Bedeutung, dass das Umgekehrte - dass jemand, der keine Tuberkulose bekommt, dagegen resistent ist - kaum als wahr bezeichnet werden kann. Auf diesem älteren Begriff der »Konstitutionsschwäche« basierende Versuche, Schizophrenie mit verschiedenen anderen Störungen zu verbinden, sind auch andernorts nicht erfolgreich gewesen. Alstroem stellte in einer extensiven Studie über das Vorkommen von Tuberkulose in Nervenkrankenhäusern fest, dass statistische Methoden vor allem in der Verknüpfung von Tuberkulose und Schizophrenie bestanden. Als die Daten hinsichtlich Alter und anderer einschlägiger Faktoren berichtigt worden waren, hatten andere Psychotiker eine ebenso hohe oder noch höhere Rate der Tuberkulosehäufigkeit. Johansen fand in ihren Schizophrenie-Reihen ebenfalls kein größeres Vorkommen von Tuberkulose. Dabei handelt es sich um jüngste Untersuchungen; M. Bleuler und seine Mitarbeiter hatten jedoch schon zu ihrer Zeit jeden konstitutionellen Zusammenhang zwischen Tuberkulose und Schizophrenie in Zweifel gezogen.

Motts Arbeit über Degeneration der Sexualorgane und Gehirnzellen ist von verschiedenen Untersuchern widerlegt worden. Der Versuch, die Schizophrenie mit einem bestimmten Körperbau in Verbindung zu bringen, schien vielversprechend; aber viele Forscher haben keine solche Korrelation feststellen können. Lubin und andere haben beschrieben, dass sie mit Sheldons Klassifikation (statistisch) nichts anfangen konnten. Alstroem berichtet über eine Untersuchung von Gewichtsveränderungen an 1600 psychotischen Patienten. Abgesehen von den katatonischen Fällen, bei denen einige extreme Schwankungen auftraten, unterschieden sich die Schizophrenen nicht von den übrigen Insassen des Hospitals. Das würde sich nicht mit der Theorie vertragen, wonach dem Gewicht eine spezifische Beziehung zur Resistenz gegen Schizophrenie zukommt.

 

Eine Beurteilung der Zahlen über Krankheitsaussicht

Die statistischen Zahlen demonstrieren, dass die verschiedenen Faktoren, die im Vorstehenden betrachtet wurden, eine Rolle dabei spielen können, zu welchen Zahlen über die Krankheitsaussicht man kommt. In diesen Zahlen ist zu erkennen, dass Kallmanns Aussichtsziffern, ganz gleich um welche Stichprobenuntersuchung es sich handelt, nur leicht oder überhaupt nicht schwanken. Ob die Untersuchung in Berlin anhand der Krankenblätter von Patienten erfolgt, die zwischen 1893 und 1902 hospitalisiert waren, oder ob sie in Amerika an bis zu 50 Jahre später lebenden Personen vorgenommen wird, die Zahlen bleiben die gleichen. In einer Untersuchung (1938) wird keine erhöhte Blutsverwandtschaft festgestellt, in einer anderen (1950) ist von 5 Prozent die Rede. Im Jahre 1946 wurden 4394 Verwandte (darunter 284 Ehepartner) untersucht; 1950 wurden 280 Zwillingspaare hinzugenommen und nur 28 weitere Verwandte. Dazu stimmt 1946 das Verhältnis der zweieiigen zu den eineiigen Zwillingen mit dem Verhältnis innerhalb der Durchschnittsbevölkerung überein, aber 1950 war die Stichprobe der eineiigen Zwillinge um 112 und die der zweieiigen nur um 168 erhöht worden. Das heißt, das Verhältnis der zweieiigen zu den eineiigen fiel von dem erwarteten 3:1 auf weniger als 2:1. In dem Bericht von 1946 gibt es 134 Halbgeschwister und 2741 Geschwister, in dem großen Artikel von 1952 dagegen 109 Halbgeschwister und 2461 Geschwister, obwohl die Stichprobe der eineiigen Zwillinge vergrößert wurde. Kallmann erwähnt in einem Aufsatz von 1949, einer Erweiterung seines Berichts von 1946, dass von den 691 indizierten Zwillingspaaren 211 eine für Schizophrenie negative Familiengeschichte hatten und 102 Geschichten Daten lieferten, die keinerlei Schlussfolgerung zuließen. In späteren Aufsätzen über seine vergrößerte Zwillingsstichprobe gibt Kallmann kein Verhältnis an für Familiengeschichten oder unzureichende Daten. Ferner geht er nicht darauf ein, wie er diese negativen Fälle behandelt hat, und das wäre doch wohl eine unerlässliche Information, da diese Fälle fast die Hälfte seiner Stichprobe (nämlich 45 Prozent) ausmachen. Offensichtlich können Familien mit negativer Geschichte nicht in Beziehung zu solchen mit positiver Geschichte gesetzt werden, soll das Konzept der Genealogie nicht seinen Sinn verlieren. Kallmann ist von dem hereditären Charakter der Schizophrenie so überzeugt, dass ihr Auftreten bei beiden eineiigen Zwillingen für ihn keine andere Hypothese zulässt. Diese Einstellung überrascht angesichts einer früheren Feststellung von ihm, dass wir, wenn sich keine hereditäre Prädisposition findet, »diese Fälle von den "echten" Schizophrenien ausschließen und sie als schizoforme Psychosen mit exogenem Ursprung unterscheiden müssen« [Hervorhebung von mir].

Der Autor betrachtet die Fälle mit negativer Familiengeschichte nicht als Beweismaterial, das gegen eine genetische Theorie spricht; denn er stellt fest: »Von 211 indizierten Zwillingspaaren ohne Schizophrenie bei den bekannten Vorfahren entstammten zwölf Gruppen (5,7 Prozent) einer Ehe unter Blutsverwandten.« Abgesehen davon, dass schon höhere Blutsverwandtschaftsraten für bestimmte Populationen ohne Erhöhung der Schizophreniefälle berichtet wurden, hat Slater auch ihre prozentuale Bedeutung durch mathematische Prüfung in Zweifel gezogen.

Kallmanns Ziffern über Krankheitsaussicht basieren auf der verkürzten Weinberg-Methode. Slater stellt bei der Erörterung des Konkordanzgrades bei seinen Reihen eineiiger Zwillinge fest, dass seine 68 Prozent unberechtigter Konkordanz sich durch die verkürzte Weinberg-Methode auf 94,9 Prozent erhöhen würden. Er betont: »Eine solche Zahl hat wenig Bedeutung.« Es ist möglich, dass die Verwendung dieser Formel dafür verantwortlich ist, dass Kallmanns Ziffern ständig höher sind als die von anderen Beobachtern.

Nach einer anderen Angabe in Kallmanns Bericht von 1949 waren 1926 von 5776 Personen, die untersucht wurden, bereits tot. Es wäre wohl wichtig zu wissen, wie die Daten über diese Fälle von Toten beschafft wurden und welche Kriterien der Untersucher benutzte, um zu einer Diagnose der Schizophrenie und des hohen Prozentsatzes an Schizoidie zu kommen. In späteren Berichten, als die Zwillingsstichprobe sich fast verdoppelt hatte, war die Zahl der interviewten Verwandten in keiner Weise gestiegen, so dass der Anteil an Toten relativ groß und die Prozentzahlen überraschenderweise dieselben bleiben wie in anderen Berichten.

Tabelle 2: Typische Zahlen über Krankheitsaussicht von anderen Untersuchern gegenüber denen von Kallmann

 

UNTERSUCHER % BEI GESCHWISTERN,
1 SCHIZ. ELTERNTEIL
% BEI GESCHWISTERN,
2 SCHIZ. ELTERN
% BEI ELTERN
Kallmann
Andere
14,0 %
3,3 - 5,6 %
68,1 %
38,0 - 53,0 %
9,3 %
0,9 - 4,0 %

Kallmann hat seine Morbiditätsziffern mit einigen sehr eindrucksvollen Befunden über unterschiedliche »Resistenz« gegen Schizophrenie zwischen eineiigen und zweieiigen Zwillingen untermauert und diese Resistenz mit »Elementen des Mesoderms« verknüpft. Das könnte ein höchst überzeugender Teil seiner genetischen Argumentation sein, spräche nicht Folgendes dagegen: seine Methode, mit der er zu der Schlussfolgerung kommt; die Tatsache, dass er bereits vor seinen genetischen, Studien eine solche Meinung hatte; schließlich die Tatsache, dass ihn dieselbe Meinung zu dem Schluss verleitete, Schizophrenie und Tuberkulose seien genetisch verknüpft (1938) - eine Meinung, die er nicht gänzlich aufgegeben hat (1953), obwohl eine überwältigende Evidenz für das Gegenteil spricht. In den frühen dreißiger Jahren erfreute sich eine Droge namens Sulfoan zusammen mit Sanovitan und Phlogetan einer Heilungsquote von 60 Prozent bei Schizophrenen. Kallmann bestätigte diese guten Resultate und führte sie auf einen tonischen Sulfur-Effekt zurück, der einer metabolischen Dysfunktion entgegenwirke, die besonders mit dem asthenischen Habitus verbunden sei. Trotz mangelnder Evidenz fuhr er fort, die metabolische Dysfunktion und die Schwäche des Mesoderms zu betonen. Diese Betonung nimmt eine extreme Form an, wenn er auf einen Gewichtsunterschied von fünf Pfund zwischen einem geisteskranken Zwilling und ihrer besser angepassten Schwester verweist.

Die Theorie einer »Mesoderm-Resistenz« wird durch folgende Zitate illustriert:

In der Gruppe eineiiger Zwillinge zeigen fünf von 100 Zwillingsgeschwistern schizophrener Fälle eine Tendenz zur günstigen Resistenz, und keiner von ihnen zeigte eine sehr günstige Resistenz, wenn der Zwillingspartner unzureichend resistent war. In der Gruppe zweieiiger Zwillinge kann jedoch bei 72 von 100 Zwillingsgeschwistern unzureichend resistenter Indexfälle eine günstige Resistenz und bei etwa 30 sogar eine sehr günstige Resistenz festgestellt werden. Dieser Befund verweist auf eine konstitutionelle Resistenz gegen den Haupt-Genotyp der Schizophrenie, die von einem genetischen Mechanismus bestimmt wird, der vermutlich unspezifisch ist und mit Bestimmtheit aus mehreren Faktoren besteht. Zieht man die Ergebnisse biometrischer Untersuchungen in Betracht, so besteht Grund zur Annahme, dass dieser konstitutionelle Mechanismus eine gradierte Eigenschaft ist und auf irgendeine Weise mit der morphologischen Entwicklung der Elemente des Mesoderms korreliert.

Das ist eine Neuformulierung der Theorien von 1932 und 1938, die nur durch feste Überzeugung und nicht durch Berechnung aus den Zahlen des Autors abgeleitet werden können.

Abgesehen von der Frage, wie die 100 Zwillinge ausgewählt wurden (ein wichtiger Punkt!), geht aus seiner Tabelle hervor, dass er neun Paare eineiiger Zwillinge als »unähnlich« klassifiziert, weil der erste eine Zerfalls-Schizophrenie und der andere eine Nicht-Zerfalls-Schizophrenie aufweist, während 54 Paare erbgleicher Zwillinge als »ähnlich« verzeichnet werden, obwohl ein Zwilling eine Nicht-Zerfalls-Schizophrenie und der andere überhaupt keine Schizophrenie hat. In den Gesamtziffern seiner Tabelle wird »keine Schizophrenie« im Verhältnis zu »extremer Zerfalls-Schizophrenie« mit 0 : 174 ausgewiesen - wobei die zweite Zahl die Gesamtstichprobe der erbgleichen Paare darstellt. Indem er die Zwillingsgeschwister ohne Schizophrenie auf diese Weise klassifiziert, findet der Autor, dass erbgleiche Zwillinge eine ähnliche Resistenz gegenüber einer unähnlichen im Verhältnis von 3:55 (neun von 174) aufweisen, während bei zweieiigen Zwillingen ein Verhältnis von 3:1 zugunsten der Unähnlichkeit besteht. Allerdings hat der Autor, um zu seinem Verhältnis von 3:1 (tatsächlich 371:146) bei erbungleichen Zwillingen zu kommen, zweieiige Zwillinge mit »keiner Schizophrenie« als unähnlich einbezogen, obwohl er das bei erbgleichen Zwillingen nicht getan hat. Somit beruht die Behauptung: »Ähnliches Verhalten in Bezug auf Schizophrenie ist bei eineiigen Zwillingen etwa 18mal häufiger als unähnliches Verhalten, während bei zweieiigen Zwillingspartnern die Unähnlichkeit überwiegt«, auf einem selektiven und ungerechtfertigten statistischen Verfahren. Außerdem werden die obigen Betrachtungen über genetisch-konstitutionelle Faktoren angestellt, ohne dass auf das Faktum eingegangen würde, dass 45 Prozent der Zwillingspaare ohne positive Familiengeschichte sind. Positive und negative Familiengeschichten werden als gleich behandelt, ebenso die Fälle von »keine Schizophrenie« und »Nicht-Zerfalls-Schizophrenie«, wenn sie bei erbgleichen Zwillingen vorkommen. Kallmann ist nicht der einzige Untersucher, dem man den Fehler ankreiden muss, eine übereinstimmende Schizophrenie bei Zwillingen automatisch als Beweis für Heredität zu betrachten, obwohl die Familiengeschichte negativ ist. Fast jede Falldarstellung von Zwillingen in der Literatur, die eine negative Familiengeschichte anführt, geht von einer genetischen Voraussetzung aus. (Gralnick stellte eine ähnliche Tendenz in Bezug auf folie à deux fest.)

Beim Studium von Tabelle 2 muss man daran erinnern, dass alle diese Untersuchungen eine Ziffer von 0,85 oder 1 Prozent für das Vorkommen von Schizophrenie zugrunde legten. Daher ist jedes Vorkommen in den Familien, das über dieser Ziffer liegt, Beweis für eine gemeinsame Tendenz zur Schizophrenie, die auf Blutsverwandtschaft beruht. Böök fand in seiner Großuntersuchung der Bevölkerung eine Häufigkeit von 3 Prozent. Vergleicht man diese Zahl mit der jüngsten Studie der Familien männlicher Schizophrener, in welcher der Morbiditätsgrad bei Vätern gleich null war, bei den Müttern 2,6 ± 1,8 Prozent und bei den Geschwistern 3,8 ± 0,9 Prozent betrug, oder mit den Befunden von Alanen, dann ist die Evidenz nicht überwältigend.

Tabelle 2 verzeichnet ebenfalls die Wahrscheinlichkeit von Schizophrenie, wenn beide Elternteile schizophren sind. Derartige Zahlen berücksichtigen keine Faktoren wie zerrüttete Familien und wären sinnvoller, wurden Vergleiche zwischen Variablen angestellt. Pollack und Malzberg berichten, dass 38 Prozent ihrer Stichprobe von 175 schizophrenen Patienten aus zerrütteten Familien stammten. Lidz und Lidz stellten fest, dass 40 Prozent ihrer Patienten, die vor ihrem 21. Lebensjahr schizophren wurden, aus zerrütteten Familien kamen. Diese Zahlen widersprechen den Schätzungen von 11 bis 15 Prozent zerrütteten Familien in den Vereinigten Staaten, und dabei schließen diese Schätzungen Neger und andere Bevölkerungsgruppen ein, in denen die Zahlen von Trennung und Scheidung tendenziell hoch sind. Barry hat in zwei Studien berichtet, dass von 549 Patienten mit Psychosen, die zwischen ihrem 16. und 25. Lebensjahr hospitalisiert wurden, 15,7 Prozent ihre Mutter verloren hatten, ehe sie 12 waren - ganz im Gegensatz zu den geschätzten 5,3 Prozent für die Gesamtbevölkerung. Es ist wohl von entscheidender Bedeutung, ob das Kind die Mutter vor oder nach dem achten Lebensjahr verloren hat. Derartige Daten werden aber durch die übersimplifizierten Methoden der meisten genetischen Untersuchungen unter den Tisch gewischt.

Abgesehen davon, dass genetische Untersuchungen sich in bestimmtem Maße mit Problemen der Familienstruktur befassen, gibt es eine wachsende und eindrucksvolle Literatur über die soziologischen Faktoren bei der Schizophrenie, die von denen, die genetische Untersuchungen machen, einfach nicht mehr ignoriert werden kann. Die Einbeziehung verschiedener sozioökonomischer und ethnischer Gruppen in eine genetische Stichprobe ist dazu angetan, dass man wichtige Untergruppen, bei denen Schizophrenie mit sehr hoher oder sehr niedriger Häufigkeit vorkommt, aus den Augen verliert. So versuchte Cade in einer Studie, Hollingsheads und Redlichs Befunde zu überprüfen; er wies nach, dass sich das Vorkommen der Schizophrenie mit der Bevölkerungsdichte erhöht, und fand keine Anzeichen für eine rückläufige Tendenz. Sein wichtigster Beitrag lag allerdings in der Aufschlüsselung seiner Stichprobe, in der klar wurde, dass männliche Einwanderer, die 7,8 Prozent der Bevölkerung ausmachten, 27,6 Prozent der Schizophrenie-Fälle bildeten, und weibliche Einwanderer, deren Bevölkerungsanteil nur 5,3 Prozent betrug, 11,3 Prozent der Fälle ausmachten. Wie schon erwähnt, schwanken die Schätzungen über Blutsverwandtschaft in den Familien Schizophrener. Hanhart untersuchte dieselbe Schweizer Population in Intervallen von 20 Jahren. Es handelte sich um eine ungewöhnliche Gruppe, da sich in ihr 11,5 Prozent Ehen von Geschwisterkindern ersten Grades und 32 Prozent von solchen zweiten Grades fanden. Abermals wird die Bedeutung der Untersuchung von Untergruppen statt der von großen Stichproben durch den Umstand demonstriert, dass das Vorkommen der Schizophrenie innerhalb der Schätzungen hinsichtlich der Normalbevölkerung lag und seit dieser vorläufigen Studie tatsächlich sogar zurückging. Der Autor führt diesen Rückgang auf »natürliche Eugenik« zurück; wie dem auch sei, wäre die Schizophrenie eine rezessive Krankheit, so müsste sie in einer solchen Population wohl häufiger vorkommen.

Der vielleicht wichtigste Aspekt der Verschleierung sozialer Faktoren in genetischen Untersuchungen ist, dass psychodynamische Theorien der schizophrenen Familie für eine rezessive soziale Heredität sprechen. In den Aufsätzen dieses Bandes von Lidz, Bowen und Weakland erscheinen die Eltern nicht als eindeutig schizophren, und es wird postuliert, dass der psychotische Zustand des Kindes in der geistigen Ökonomie der Eltern eine wichtige Rolle spielen kann. Hills Drei-Generationen-Theorie der Schizophrenie und die Arbeit von Mendell und Fisher sprechen ebenfalls für eine soziale Heredität, die in der gleichen Weise vererbt würde, wie das für ein rezessives Gen postuliert wird. Diese Theorie findet ferner eine Stütze in der von Sivadon durchgeführten Drei-Generationen-Studie an den Familien von Schizophrenen. Der Genetiker H. J. Müller hat festgestellt:

In diesem Zusammenhang darf man daran erinnern, dass das Gehirn ein Organ ist, das dazu geschaffen ist, mit einem Höchstmaß an Plastizität zu reagieren, und dass seine Reaktionen deshalb viel nachdrücklicher durch Umweltunterschiede beeinflusst werden als die Reaktionen irgendeines anderen Organs. Macht man sich dann noch klar, dass in Familien und ganzen Gruppen eine riesige Menge von Umwelteinflüssen vermittelt wird, und zwar durch unbewusste wie durch sichtbare Tradition und die Weitergabe der materiellen Existenzmittel, und dass alle diese Faktoren selbst wieder tiefreichenden und bemerkenswerten kontinuierlichen Unterschieden unterliegen, dann sieht man, wie vorsichtig ein Untersucher sein muss, bevor er ein anscheinend angebotenes Verhaltensmerkmal den Genen zuschreibt.

Neel, ein anderer Genetiker, bemerkt ganz richtig: »Alle diese Umstände [die Komplexitäten des genealogischen Ansatzes] haben die Brauchbarkeit der Methode so sehr verringert, dass man zwangsläufig zu dem Schluss kommt, der Umstand der Koppelung werde künftig nur noch bei einem außergewöhnlichen Stamm, wo drei oder mehr Generationen untersucht werden können und es keine enge Koppelung gibt, für die Voraussage von Wert sein, bei welchen Individuen in einer Population es aufgrund eines autosomatischen Gens wahrscheinlich zur Ausbildung einer Krankheit kommen wird. «

Diese warnenden Worte gelten vor allem für die Verwendung von Genealogien beim Studium der Schizophrenie. Rudin vermeldete 60 Prozent mehr depressive Störungen bei den Eltern seiner schizophrenen Indexfälle. Schulz stellte fest, dass nur 28 Prozent der Nachkommen von manischdepressiven Ehepaaren die Störung ihrer Eltern hatten und 12 Prozent von ihnen als schizophren diagnostiziert wurden. Elsässer berichtete, dass 19 Prozent von 33 Kindern, deren Eltern schizophren waren, geistig gesund und nicht schizoid waren. Zur Evidenz für Gen-Austausch kommen noch die Angaben von Forschern wie Pasamanick hinzu, wonach die rassische und sozioökonomische Position entscheidende nicht-genetische Faktoren bei psychiatrischen Störungen bilden. Ohne diese Daten könnte man zum Beispiel annehmen, die große Häufung von Geistesstörungen in Negerfamilien beruhe auf Vererbung.

 

Zwillingsuntersuchungen

Da in der Kontroverse über die Ätiologie von Schizophrenie den Ergebnissen der Zwillingsforschung soviel Vertrauen entgegengebracht worden ist, sollte man die Sache vielleicht etwas eingehender erörtern. Das natürliche Auftreten von eineiigen Zwillingen, den einzigen Menschen, deren genotypische Konstitution im wesentlichen die gleiche ist, besitzt auch für viele Nicht-Wissenschaftler Faszination und Anziehungskraft. Die Vorstellung von einem erbgleichen Zwilling, der aus biologischer Übereinstimmung mit seiner anderen Hälfte reagiert und eine ähnliche Psychose entwickelt, auch wenn er viele hundert Meilen entfernt ist, ist faszinierend, und es überrascht nicht, dass die Tatsachen auf diesem Gebiet von der Phantasie überholt werden. Eine der frühesten Studien, die von Tietze, wies darauf hin, dass bei erbgleichen Zwillingen Konkordanz von solch beeindruckender Häufigkeit zu finden ist, dass sie unbedingt jedem zur Kenntnis gebracht und möglicherweise überbewertet werden muss, weshalb nur eine gründliche Untersuchung anderer Fälle, in denen keine Konkordanz besteht, uns in die Lage versetzen würde, Zufälligkeiten auszuschalten. Berichte über diskordante Fälle von erbgleichen Zwillingen fehlen aber in der medizinischen (einschließlich der psychiatrischen) Fachliteratur auffallend.

Wegen der Bedeutung und dem Interesse, die der Untersuchung dieses Bereiches zukommen, und da der Vergleich von erbgleichen mit erbungleichen Zwillingen als überzeugendster Beweis für eine rein biologische oder genetische Theorie der Schizophrenie angeboten wird, möchte ich die englische, deutsche, französische, spanische und italienische Literatur der letzten vierzig Jahre und einen Teil der skandinavischen Quellen referieren. Besonders berücksichtigen möchte ich dabei die beiden einzigen Fälle, die ich in der medizinischen Literatur finden konnte, wo erbgleiche Zwillinge seit ihren Prägungsjahren getrennt waren und beide als schizophren diagnostiziert wurden: über das eine Paar berichtet Kallmann im Rahmen seiner früheren Studien in Deutschland, über das andere Slater in England.

Es überrascht nicht, dass nur wenige solcher Fälle existieren. Zwillingsgeburten kommen unter 85 Geburten nur einmal vor, und nur ein Drittel davon ist eineiig; die überwältigende Mehrheit der Paare wächst zusammen auf. Tatsächlich haben Newman und seine Mitarbeiter die ganzen Vereinigten Staaten durchkämmt und nur 19 Zwillingspaare entdeckt, die getrennt aufwuchsen; zufällig war keiner von diesen Zwillingen schizophren. Dass Zwillinge getrennt aufwachsen, geschieht nach aller Wahrscheinlichkeit sehr selten, doch scheint die medizinische Meinung die Existenz einer Reihe solcher Fälle anzunehmen, vielleicht deshalb, weil Kallmann in seiner Studie von 1946 die Klassen »getrennte« und »nicht getrennte« Zwillinge geschaffen hat.

Ferner möchte ich das ziemlich häufige Auftreten von simultaner (oder doch fast simultaner) Schizophrenie bei erbungleichen Zwillingen desselben Geschlechts, vor allem bei Schwestern, erörtern; auch die Tatsache, dass dieses Phänomen häufiger bei Schwestern vorkommt, die nicht Zwillinge sind, als bei anderen Geschwistern soll besprochen werden. Die klassische folie-à-deux Situation verdient besondere Beachtung, da sie sich nicht für einfache genetische Erklärungen eignet und doch formal der Psychose ähnelt, die für gewöhnlich bei erbgleichen Zwillingen festgestellt wird.

 

Extensive Zwillingsuntersuchungen in der Literatur

Wenn man von verstreuten Bemerkungen über psychotische Zwillingspaare absieht, wie sie z. B. von Rush während des Revolutionskrieges gemacht wurden, sowie auch von den Fällen, die Moreau de Tours 1859, Trousseau 1873 und Dalton 1876 aufzeichneten, dann muss man sagen, dass Zwillingsuntersuchungen erst in unserer Zeit auf systematische Weise durchgeführt wurden. Ältere Studien litten daran, dass es unmöglich war, zwischen eineiigen und zweieiigen Zwillingen zu unterscheiden, und die Probleme der Stichprobenauswahl wurden noch nicht richtig eingeschätzt.

Die erste extensive Studie an einer Großgruppe von schizophrenen Zwillingen ist die von Luxenberger. Unter 25000 untersuchten Patienten fand er 350, die als Zwillinge geboren worden waren, eine Häufigkeit, die leicht unter der Erwartungsrate für die Gesamtbevölkerung lag. Bei 81 dieser Paare wurde mindestens ein Zwilling als schizophren diagnostiziert. Luxenberger musste 23 Paare als ungewiss hinsichtlich Zweieiigkeit ausscheiden. Da jedoch bei 21 von diesen 23 in Bezug auf Schizophrenie keine Konkordanz bestand, mögen seine Endziffern davon beeinflusst worden sein. Für die verbleibenden Fälle fand er 65 Prozent Konkordanz. Luxenberger war sich der Möglichkeit von Stichprobenschwierigkeiten bewusst; und obwohl er sehr dazu neigte, eine genetische Basis für Schizophrenie anzunehmen, war er doch davon beeindruckt, wie sehr die Schizophrenie mit anderen Geistesstörungen vermengt war und dass seine konkordanten Zwillinge tendenziell am Anfang ihrer Psychose eine zeitweilig enge Beziehung gehabt hatten. Er bemerkt beiläufig, dass dieses Phänomen nur an erbgleichen Zwillingen festzustellen war.

Rosanoff und später Rosanoff, Handy et. al. brachten eine Gruppe von Zwillingen zusammen, die zahlreiche Störungen einschließlich Schizophrenie aufwiesen. Ihr Interesse galt hauptsächlich den Diskrepanzen zwischen erbgleichen und erbungleichen Zwillingen, und so untersuchten sie nicht die Familien. Die Schwierigkeiten der Stichprobenauswahl werden hier wiederum beeindruckend offen zugegeben.

Die nächste bedeutende Studie war die von Essen-Möller; er führte eine extensive Untersuchung an Zwillingen in schwedischen Hospitälern durch. Er siebte die Krankengeschichten von 10 000 Patienten und fand 179 Zwillingsgeburten (eine Häufigkeit von 1:48, also annähernd die gleiche wie in der Gesamtbevölkerung). Fünfundachtzig Paare wurden ausgeschieden, da sie verschiedengeschlechtlich waren, dreiundzwanzig, weil ein Zwilling tot war, und zwei weitere aus anderen Gründen. Seine Studie umfasste somit 21 erbgleiche und 48 erbungleiche psychotische Index-Fälle und ihre gleichgeschlechtlichen Zwillingsgeschwister. In der Gruppe der erbgleichen Zwillinge waren sieben schizophrene Index-Fälle, wogegen Kallmann für seine Studie eine Konkordanzrate von 71,4 Prozent angibt. Bei vier von diesen Fällen waren die Zwillingspartner jedoch nie hospitalisiert gewesen, bei zweien war die Psychose des Zwillings von relativ kurzer Dauer und von Essen-Möller als »induziert« bezeichnet, und nur in einem Fall waren beide ungefähr gleich krank. Bei den erbungleichen Zwillingen gab es fünf Paare mit Konkordanz in Bezug auf Schizophrenie, und mit Überraschung vermerkt der Autor, dass die Konkordanz, wenn sie bei erbungleichen Paaren auftritt, sowohl in Form wie in Entwicklung einen höheren Grad hat als bei erbgleichen Zwillingen. Das lässt sich zwar nicht auf genetischer Basis erklären, eignet sich aber für eine psychodynamische Erklärung: Die psychotische Identifizierung muss eben bei einem Paar, das nicht wirklich identisch ist, stärker oder forcierter sein. Essen-Möllers eigene Zusammenfassungen dieser Fälle sind lesenswert, da sie die Probleme, die solchen Untersuchungen innewohnen, gut beleuchten.

Kallmann hat in Amerika zwei sehr extensive Studien publiziert, eine 1946 und eine 1952. Die Zahlen aus diesen Untersuchungen sind bereits im vorhergehenden Abschnitt referiert worden, da sie seine wichtigsten Daten hinsichtlich der Häufigkeit von Schizophrenie in Familien wie bei Zwillingen darstellen.

1951 hat Gedda in Italien eine ausführliche Besprechung all der Literatur veröffentlicht, die damals über Schizophrenie bei Zwillingen vorlag, doch hat er kein eigenes, neues Material hinzugezogen.

1953 haben Slater und Shield in England eine Studie über psychotische und neurotische Krankheiten bei Zwillingen publiziert. Sie umfasst 41 erbgleiche und 115 erbungleiche schizophrene Index-Fälle und ihre Zwillingsgeschwister.

Es liegen auch schätzungsweise 60 Einzeldarstellungen über Schizophrenie bei Zwillingen vor. Die meisten davon sind konkordante Fälle, und trotz großer Variation in den vorgelegten Daten hat die Mehrheit gemeinsame Züge; ich werde darauf zurückkommen.

Obwohl eine Zusammenstellung der Zahlen, die von den wichtigeren unter den vorliegenden Zwillingsuntersuchungen präsentiert werden, beeindruckend ist (und sogar die Diskrepanzen zwischen den Beobachtern verringert) und obwohl der Vergleich von erbgleichen Zwillingen eines gleichartigen Genotyps mit erbungleichen Zwillingen, deren genetische Struktur nicht ähnlicher ist als die von gewöhnlichen Geschwistern, alle Kennzeichen eines kontrollierten Experiments zur Scheidung von Anlage und Umwelt trägt, ist Kritik an der Methode geübt worden. Außerdem enthüllt der übliche Vergleich von zweieiigen mit eineiigen Zwillingen nicht die sehr erhebliche Tatsache, dass zweieiige Zwillinge desselben Geschlechts, vor allem Schwestern, eine weitaus höhere Konkordanzrate haben als gewöhnliche Geschwister. Leider sind die erbungleichen Fälle in einigen Studien nicht nach Geschlecht aufgeschlüsselt worden, doch wo das geschehen ist, kann die Konkordanz für zweieiige Zwillinge desselben Geschlechts mit einer Skalenbreite von 17,6 bis 56 Prozent nachgewiesen werden, während die Konkordanz bei andersgeschlechtlichen Zwillingen nur 5 bis 11,5 Prozent beträgt. Ich werde auf diese Frage von Zwillingen desselben und des entgegengesetzten Geschlechts ausführlich eingehen, da sie überraschenderweise von den Veranstaltern von Zwillingsuntersuchungen nicht behandelt wird, obwohl doch sogar eine Reihe wie die von Slater zeigt, dass von 13 zweieiigen Zwillingen mit Konkordanz 11 dem gleichen Geschlecht angehören.

 

Vorbehalte gegenüber Zwillingsuntersuchungen

Autoritäten auf dem Gebiet der Genetik haben selbst eine Reihe von Vorbehalten gegenüber Zwillingsuntersuchungen im allgemeinen geäußert, die, wie ich meine, hier erwähnenswert sind. Price, Neel und Schull und andere haben zum Beispiel betont, dass eineiige Zwillinge nicht bloß die genetische Struktur gemeinsam haben, sondern auch den mütterlichen Blutkreislauf teilen. Dieser Faktor ihrer intrauterinen Umwelt wird in der Arbeit von Penrose, Benda und anderen über Mongolismus eindringlich klargestellt. Obwohl bei eineiigen Zwillingen im Vergleich zu zweieiigen eine außerordentlich hohe Konkordanz für Mongolismus festgestellt worden ist, hat der Nachweis der Beziehung zwischen dem Alter der Mutter und Mongolismus auf die intrauterine Entwicklung als den kritischen Faktor aufmerksam gemacht. Benda hat seitdem die spezifischen placentaren Defekte untersucht, die dabei im Spiel sein können. Des weiteren werden Pasamanicks viele Untersuchungen angeführt. Kurz gesagt, die Häufigkeit von Zwillingsgeburten wie von Geistesstörungen bei Negern liegt signifikant höher als bei Weißen und lässt sich auf sozioökonomische Faktoren zurückführen.

Luxenberger wie Rosanoff nahmen an, dass sie bei ihren Zwillingsuntersuchungen Stichprobenschwierigkeiten nicht entgangen sind, und auch Slater äußert freimütig Zweifel. Dieses Problem wird ferner von Price erörtert. Rosanoff macht die spezifische Feststellung, dass eineiige Zwillinge so viel leichter zu ermitteln seien, wenn sie konkordant sind, und seine Stichprobenauswahl daher nach seiner Meinung fraglos ein falsches Bild vermittle. Er verwendete absichtlich den Ausdruck »wahrscheinlich eineiig« wegen der Schwierigkeit, Zweieiigkeit festzustellen. Einzig Kallmann hält an seinem Glauben fest, seine Stichprobe sei nach dem Zufallsprinzip zustande gekommen, aber das lässt sich als eine Fehlannahme beweisen. Abgesehen von den vermutlichen Mängeln der modifizierten Weinberg-Methode, mit der Kallmann hinsichtlich der Krankheitsaussicht operiert, und abgesehen davon, dass er 103 indizierte Zwillingsfälle einbezieht, bei denen bereits ein schizophrener Zwilling hospitalisiert war, zeigt ein Vergleich seiner Stichprobe von 691 Fällen im Jahre 1946 mit den 1950 zusammengetragenen 953 Paaren, dass die Zahl der erbgleichen Zwillinge in vier Jahren von 174 auf 278 Paare gestiegen ist, jene der erbungleichen Zwillinge dagegen nur von 517 auf 685. Das ist ein viel höherer Anteil von eineiigen Zwillingen als in der Normalbevölkerung. Eine Erklärung für dieses Missverhältnis ließe sich darin finden, dass der Zeitraum relativ kurz ist (vier Jahre), so dass die meisten Neuzugänge zu den bereits erfassten New Yorker Hospitalinsassen neu eingelieferte Fälle wären. Da viele Beobachter die häufige und auffällige Konkordanz im zeitlichen Beginn der Psychose bei eineiigen Zwillingen bezeugt haben und da die experimentellen Bedingungen eine Aufnahme von Fällen, die mehr als fünf Jahre auseinander liegen, nicht zulassen, wird es eine zwangsläufige Tendenz geben, mehr konkordante eineiige Paare zusammenzubringen. Ein weiterer Faktor, dessen Bedeutung sich schwer beurteilen lässt, ist, dass der gleichzeitige Ausbruch der Krankheit bei beiden Zwillingen eine viel größere Belastung für die Familie darstellt und somit natürlich die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass beide eineiigen Zwillinge hospitalisiert werden. Rosanoff gab an, dass er ein Paar konkordanter eineiiger Zwillinge gewöhnlich im selben Hospital fand. Ferner ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass entlegene New Yorker Staatshospitäler, denen Kallmanns Interesse bekannt ist, ihn auf konkordante Paare aufmerksam machen. Das ist ein zwangsläufiges Risiko, wenn man sich auf die Untersuchung von etwas so Spektakulärem wie konkordanten eineiigen Zwillingen versteift. Neel und Schull bemerken, dass es zweifellos eine Neigung gebe, über konkordante eineiige Zwillinge zu berichten, und erörtern andere Probleme der Stichprobenherstellung, einschließlich der Bestimmung von Zweieiigkeit und der Tendenz zu Zwillingsgeburten bei bestimmten Familien und in Zusammenhang mit dem Alter der Mutter.

Essen-Möllers Studie zeigt ebenfalls, dass Konkordanzzahlen hinsichtlich erbgleicher Zwillinge mit Vorsicht behandelt werden müssen. Von den wenigen Fällen mit Psychose hatte nur einer der eineiigen Zwillingspartner eine mehr als transitorische Psychose. Werden derartige Fälle zusammen mit solchen, bei denen der Krankheitsverlauf die Form eines chronischen Zerfalls annimmt, als schizophren registriert, so erscheint die Konkordanz natürlich zwingender, als sie in Wirklichkeit ist. Dieselbe Studie zeigt das Problem der Diagnose, das von der Untersuchung erbgleicher Zwillinge aufgeworfen wird. Der Beobachter kann sie in solchem Maße als gleich ansehen, dass seine Definition der Schizophrenie übermäßig unscharf wird. Augenscheinlich stellte Kallmann die Konkordanz bei Essen-Möller mit 71,4 Prozent dar, weil er sich mehr auf die Feststellungen des Autors hinsichtlich eines »Ähnlichkeitscharakters« stützte als auf das tatsächliche Vorkommen einer Krankheit, die für die meisten Psychiater gleichbedeutend mit »Schizophrenie« wäre. Diese Tendenz, eineiige Zwillinge als gleich anzusehen, mag daran schuld sein, dass Kallmann Zwillinge »mit Schizophrenie ohne Zerfallscharakter« und »ohne Schizophrenie« unter der Kategorie der »Ähnlichkeit« in einen Topf geworfen hat. Festgestellt werden muss auch, dass Slater einen seiner getrennt aufgewachsenen Zwillinge als schizophren diagnostiziert, während ein englischer Psychiater im allgemeinen eher zur Diagnose eines paranoiden Charakters kommen würde.

Da eineiige Zwillinge gleich aussehen, der Tendenz nach eine ähnliche präpsychotische Persönlichkeit haben (nicht gänzlich aus genetischen Gründen), größeres Interesse erwecken, wenn sie konkordant sind, und mit Wahrscheinlichkeit innerhalb von sechs Monaten bis zu einem Jahr nacheinander im selben Hospital zu finden sind, werden die genetisch orientierten Beobachter leicht von dem Glanz solcher Gleichheit geblendet. So stellt Kallmann zum Beispiel in seinem letzten Artikel (1958) fest: »Konsistente Ähnlichkeit in der Zusammensetzung dieser Persönlichkeitskomponenten wird beim Fehlen einer genotypischen Gleichheit nicht beobachtet. Zweieiige Zwillinge desselben Geschlechts unterscheiden sich in ihrer Persönlichkeit tendenziell ebenso sehr wie andere Geschwister, die zusammen oder getrennt aufgewachsen sind. Nur bei eineiigen Zwillingen sind selbst ausgeprägte Unterschiede in der Lebenserfahrung, wie nachteilig sie auch sein mögen, nicht stark genug, grundlegende Ähnlichkeiten in Aussehen und allgemeinen Charakterzügen auszulöschen.« Im selben Artikel zitiert er später die Zahlen von Kranz und Lange als Beweis für eine erbliche Bedingtheit von Kriminalität und bemerkt, dass diese zwischen 14 Prozent bei Paaren verschiedenen Geschlechts, 54 Prozent bei gleichgeschlechtlichen Paaren und 66 Prozent bei eineiigen Zwillingen schwanken. Er kommt dann zu dem Schluss: »Deshalb mag die Tendenz zu kriminellem Verhalten bei zweieiigen Zwillingen in der Hauptsache in dem Einfluss ungünstiger Umweltverhältnisse begründet sein.« Hier wird eindeutig mit zweierlei Maß gemessen: Sind eineiige Zwillinge konkordant, handelt es sich um Vererbung; sind zweieiige Zwillinge konkordant, ist die Umwelt schuld. Wie unhaltbar diese Position ist, wird offenbar, wenn der Autor feststellt, dass Kriminalität in vielen Fällen durch konstitutionelle Faktoren verursacht sein mag, Diskordanz aber sogar bei eineiigen Zwillingen auftreten könne, falls einer der beiden es schaffe, die Grenzen der Gesetze einzuhalten. Offenbar liegt es an der Erbmasse, wenn man die Gesetze übertritt, aber wenn man sie einhält, dann ist die Umwelt schuld.

Abgesehen von den Fragen der Stichprobenherstellung, der Diagnose und der statistischen Methoden bleibt also noch die Frage, wie die Daten interpretiert werden müssen.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zunächst einmal die Position derer festzustellen, von denen die Ergebnisse der Zwillingsforschung als Beweis für eine genetische Basis der Schizophrenie angesehen werden. Slater hat in seiner Entgegnung auf Bleulers Einwand, dass die frühe Umwelt eineiiger Zwillinge sich von der Umwelt der Normalbevölkerung und erbungleicher Zwillinge unterscheide, seine Position wie folgt umrissen:

  1. Es stimmt nicht, dass eineiige Zwillinge in der Kindheit einander ähnlicher seien als zweieiige.

  2. Es liegt kein Beweis dafür vor, dass Mütter sich in ihrer emotionalen Einstellung gegenüber Zwillingen desselben Geschlechts signifikant unterscheiden.

  3. Es gibt keinen Beweis dafür, dass Unterschiede der frühen emotionalen Umwelt in Beziehung stehen zu späteren psychotischen Erkrankungen.

  4. Der Einwand entstammt einer emotional gefärbten Voreingenommenheit.

Dann bringt Slater seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die psychologische Umwelt in früher und später Kindheit nicht »zu einer endogenen Psychose wie der Schizophrenie« führen könne. Allerdings billigt er der Umwelt doch eine geringfügige Rolle bei der Entstehung von Schizophrenie zu, indem er auf die zwischen eineiigen Zwillingen bestehende Diskordanz verweist, aus der die Bedeutung interpersoneller Prozesse hervorgehe. Obwohl sich seine Argumentation durch nichts als Emphase auszeichnet, hat sie doch eine Antwort verdient, da die Beziehung der Rollen, die Anlage und Umwelt nach psychiatrischer Lehrmeinung spielen sollen, immer noch ein kritisches Problem mit praktischen und theoretischen Konsequenzen ist.

  1. Eineiige Zwillinge sähen in der Kindheit einander nicht ähnlicher als zweieiige. In Slaters eigenen Falldarstellungen wird häufig die Verwirrung der Mutter und anderer Bezugspersonen erwähnt, welche die Zwillinge nicht auseinander halten können, und in einer Reihe von Fällen, die in der Literatur dargestellt worden sind, werden Äußerungen des Patienten über seine eigene Verwirrung hinsichtlich seiner Identität angeführt. Zum Beispiel zeigt der Fall von Laignel einen Zwilling (die kränkere von zwei Schwestern), der von sich selbst in der »Wir«-Form spricht, während der andere Zwilling noch fähig ist, »ich« und »meine Schwester« zu sagen. Eine Untersuchung von mindestens 100 Fotos von Zwillingen aus der Literatur (siehe besonders Kallmann) ergibt einen auffälligen Unterschied zwischen den Bildern erbgleicher und erbungleicher Zwillinge. Erbungleiche Zwillinge können sogar in der Kindheit unterschiedlich gekleidet sein, während erbgleiche Zwillinge regelmäßig noch als Jugendliche und in vielen Fällen sogar als Erwachsene und alte Menschen die gleiche Kleidung tragen, wodurch die bereits bestehende Gleichartigkeit noch unterstrichen wird. Slater spricht augenscheinlich von »Kindheit«, weil in einigen psychodynamischen Theorien das frühe Trauma bei der Schizophrenie hervorgehoben wird. Eineiige Zwillinge sind zumindest in der Adoleszenz einander sehr nahe, und diese Nähe mag ein entscheidenderer Faktor sein als die Zeit ihrer Kindheit. Wilson verschickte an 70 eineiige und 69 gleichgeschlechtliche sowie 55 verschiedengeschlechtliche zweieiige Zwillinge, welche die höhere Schule besuchten, Fragebogen. Das Ergebnis: Dreiundvierzig Prozent der eineiigen Zwillinge und 26 Prozent der gleichgeschlechtlichen zweieiigen Zwillinge sind keinen Tag getrennt gewesen; und 76 Prozent der eineiigen sowie 52 Prozent der zweieiigen Zwillinge hatten dieselben Freunde. Die eineiigen und die gleichgeschlechtlichen zweieiigen Zwillinge waren einander ähnlich in der Bevorzugung von Speisen, Betätigungen und Studienfächern, und zwar in etwa demselben Verhältnis wie in der Wahl von Freunden. Von Bracken und Newman mit seinen Mitarbeitern haben mit Untersuchungen offensichtlich normaler Zwillinge gezeigt, dass einer von den Zwillingen zum »Repräsentanten in der Außenwelt« wird, wie von Bracken ihn nennt. Hinsichtlich der Außenwelt übernimmt er die Initiative für beide. In Anbetracht der Tendenz erbgleicher Zwillinge, in der Mehrzahl der Fälle eine Psychose von Art der folie à deux zu entwickeln, wie die in der Literatur dargestellten Fälle zeigen, ist das interessant. Es wird nicht klar, was Slater meint, wenn er behauptet, es stimme nicht, »dass eineiige Zwillinge in der Kindheit einander ähnlicher seien als zweieiige«, doch spricht das einschlägige Material dafür, dass eineiige Zwillinge eine einzigartige emotionale Beziehung zueinander haben, die auf Gleichartigkeit beruht.

  2. Es gebe keine Beweise dafür, dass Mütter sich in ihrer emotionalen Einstellung gegenüber Zwillingen desselben Geschlechts signifikant unterscheiden. Stellt man diese Frage umfassender, so dass sie lautet: »Besteht bei Zwillingen eine Beziehung zwischen Gleichgeschlechtlichkeit und Konkordanz für Schizophrenie?«, so ergeben die bereits zitierten Zwillingsuntersuchungen eine auffallende Evidenz. Eine derartige Beziehung ist meines Wissens noch nicht dargestellt worden und findet sich hauptsächlich bei zweieiigen Zwillingsschwestern. Ein solcher Befund hängt eindeutig von einer Reihe Variabler ab, zu denen die Einstellung der Mutter vermutlich gehört. Gleichgeschlechtliche und verschiedengeschlechtliche zweieiige Zwillinge haben offensichtlich die genotypische Beziehung von gewöhnlichen Geschwistern. Da nicht behauptet wird, dass Schizophrenie eine geschlechtsgebundene Störung ist, wird man deshalb nicht erwarten, dass hinsichtlich Schizophrenie eine unterschiedliche Konkordanz auf hereditärer Basis besteht. Andererseits, wenn die Hypothese stimmt, dass erbgleiche Zwillinge aufgrund ihrer »Zwillingshaftigkeit« eine größere Konkordanz in Bezug auf Schizophrenie haben, möchte man annehmen, dass bei zweieiigen Zwillingen desselben Geschlechts sich häufiger eine Konkordanz in punkto Schizophrenie findet; denn unter dem Gesichtspunkt der Gleichartigkeit sind sie einander ähnlicher als zweieiige Zwillinge verschiedenen Geschlechts. Aus einer Reihe von Gründen, die noch genannt werden sollen, spricht zudem vieles dafür, dass weibliche Zwillinge einander insgesamt »näher« sind als männliche. Slater erwähnt, dass 11 von 13 seiner konkordanten Paare zweieiiger Zwillinge weiblichen Geschlechts waren; die beiden übrigen Paare waren männlichen Geschlechts und nur verdachtsweise, nicht wahrscheinlich, schizophren. Er bemerkt: »Wir können diese Tatsache nur als medizinische Kuriosität buchen und keine Erklärung dafür bieten.« Rosanoff erbrachte ähnliche Befunde. Nur ein Paar von 11 verschiedengeschlechtlichen Zwillingspaaren war konkordant, dagegen sieben von zwölf Paaren desselben Geschlechts. Er verzeichnete eine Konkordanzrate von 56 Prozent für zweieiige Zwillinge desselben Geschlechts, und auf vier weibliche Paare zweieiiger Zwillinge kam nur ein männliches Paar mit ähnlichen Krankheitsformen. Wie er angibt, waren von den diskordanten eineiigen Zwillingen 47,5 Prozent männlich, während bei den weiblichen nur 18,2 Prozent diskordant waren. Kallmann schlüsselt nicht nach Geschlechtszugehörigkeit auf, doch gibt er in seinem Bericht von 1946 Zahlen für gleichgeschlechtliche und verschiedengeschlechtliche Paare an, aus denen man errechnen kann, dass das Verhältnis 17,6 zu 11,5 beträgt - ein signifikanter Unterschied.

  3. Es gebe keinen Beweis dafür, dass Unterschiede der frühen emotionalen Umwelt in Beziehung stehen zu späteren psychotischen Erkrankungen. Was die Evidenz in dieser Frage betrifft, so möchte ich den Leser auf andere Beiträge in diesem Band verweisen, da der Platz nicht ausreicht, um hier darauf einzugehen. Hier möge die Feststellung genügen, dass es sich bloß um eine negative Argumentation handelt und kein Beweis dafür erbracht wird, dass kein solcher Zusammenhang besteht. Slater hat für meine Begriffe recht, wenn er sich gegen den allzu strapazierten Begriff des kindlichen Traumas wendet, aber das heißt noch nicht, dass die erbbiologische Krankheitsverursachung als einzige Erklärung übrig bleibt.

  4. Der Einwand entstamme einer emotional gefärbten Voreingenommenheit. Auf dieses Argument ad hominem lässt sich schwer auf rationaler Ebene antworten. Wenn man sich die Fachliteratur anschaut, erkennt man, dass weder die Erbbiologen noch die Psychodynamiker Anlass haben, auf ihre Objektivität stolz zu sein.

Ich-Verschmelzung und Ich-Spaltung

Die belletristische Literatur ist reich an Geschichten, in denen die einzigartige Beziehung zwischen erbgleichen Zwillingen dargestellt wird. The Corsican Brothers ist vielleicht die übertriebenste Schilderung einer Ich-Verschmelzung, während The Years Are Even ein psychologisch einfühlsamer Roman über die Schädigung ist, die einem Zwillingspaar aus seiner Gleichartigkeit erwachsen kann. Edgar Allan Poe schildert den Schrecken der Frage »Welcher davon bin ich?« in seiner Geschichte William Wilson.

Es liegen ein paar wissenschaftlich-psychologische Studien vor, von denen vielleicht die wichtigste das Buch von Dorothy Burlingham, Twins, ist, in dem die Autorin die ungewöhnlichen psychologischen Verhältnisse von Zwillingen und ihre gegenseitige Einstellung beschreibt. Sie sagt: »Eineiige Zwillinge können sich oft, wenn sie erwachsen sind, nicht zu unabhängigen Menschenwesen entwickeln. Es bleibt offen, ob das an dem Zwillingsstatus selbst liegt oder an der Haltung der Mutter, die sie in ihrer Kindheit nicht auseinander halten konnte; der Mutter, die beiden die gleichen Möglichkeiten und Erfahrungen vermittelte und sie somit als ein Wesen und nicht als zwei behandelte.«

Verlassen wir für einen Moment die Position der Erbbiologen und betrachten wir einige der hier erörterten Faktoren vom Standpunkt der Psychodynamiker aus - besonders der an der Familie orientierten -, so will es scheinen, dass die Mutter in der Familiensituation, die als psychogenetisch wichtig für die Entwicklung von Schizophrenie beschrieben worden ist, mit eineiigen Zwillingen ihre besondere Last hat. Dazu könnte die Familienumwelt die Zwillinge in eine Situation bringen, in der sie einander nahe sind, die aber auch von gegenseitiger Feindschaft und Abhängigkeit geprägt ist. Das Identitätsproblem des Schizophrenen, auf das psychodynamisch orientierte Autoren so oft mit Nachdruck verweisen, könnte keine bessere Niststätte finden als in der Verflechtung der Zwillingsidentitäten, der Ich-Verschmelzung, die in einer Hinsicht das Ich verdoppelt (da der andere als Teil des Selbst erlebt wird) und in anderer Hinsicht halbiert (da das eigene Selbst als Teil des anderen erlebt wird).

Wenn die psychodynamische These stimmt, wenn die Ich-Verschmelzung als Ursache gemeinsamer Verrücktheit anzusehen ist, dann wäre es eine begründete Hypothese - im Gegensatz zur genetischen -, dass wir, entsprechend dem Grad der Gleichartigkeit bei Geschwistern, eine erhöhte Konkordanz in Bezug auf Schizophrenie feststellen werden, ohne dass die genetische Ähnlichkeit untersucht werden muss.

Zur Unterstützung dieser psychodynamischen Hypothese lässt sich sagen, dass zweieiige Zwillinge nach allen dargestellten Untersuchungen eine größere Konkordanz in punkto Schizophrenie aufweisen als gewöhnliche Geschwister, wobei dieser Unterschied zum größten Teil mit zweieiigen Zwillingen desselben Geschlechts zusammenhängt. Ferner besteht bei gleichgeschlechtlichen weiblichen Zwillingen mit verschiedener Erbmasse im Vergleich zu zweieiigen Zwillingsbrüdern eine signifikante und gewöhnlich auffallend erhöhte Konkordanz. Nach den Zahlen von Zehnder und Penrose sind Schwestern, die keine Zwillinge sind, hinsichtlich des zeitlichen Beginns der Psychose und in Bezug auf die Symptome viel konkordanter als Brüder oder gemischte Paare von Bruder und Schwester. Diese Schwestern machen also die Mehrheit der Paare aus. Zehnder untersuchte alle Geschwister, die im Zeitraum von 20 Jahren in ein Schweizer Hospital eingewiesen worden waren. Es gab 38 Familiengruppen, bestehend aus 28 Geschwisterpaaren, fünf Gruppen mit drei Geschwistern und fünf mit vier Geschwistern. Das Gesamtverhältnis von weiblich zu männlich betrug 63 zu 26. Von den Geschwisterpaaren waren jedoch 84 weiblich. Die männlichen Fälle kamen aus Familien mit mehreren Geschwistern. Bei elf Schwesternpaaren brach die Psychose innerhalb von fünf Jahren nacheinander aus (die Autorin unterteilte die 20 Jahre in 5-Jahr-Perioden), während sich in dieser Kategorie nur zwei Brüderpaare und keine verschiedengeschlechtlichen Geschwister fanden. Vierzehn Schwesternpaare hatten innerhalb von zehn Jahren ihre Psychosen, dagegen nur zwei Brüderpaare.

Die auffällige Häufigkeit weiblicher Paare würde auf eine »Nähe« bei Schwestern, insbesondere zweieiigen Zwillingsschwestern verweisen, die zum Teil auf folgende Umstände zurückgehen könnten. Kulturell werden Mädchen in ihren Aktivitäten außerhalb des Hauses stärker eingeschränkt als Jungen. Das war besonders in den Jahren der Fall, die der Viktorianischen Epoche näher lagen: der Zeit, in der die Patienten dieser verschiedener Studien ihre Kindheit und Jugend durchliefen; und diese Situation besteht noch immer in ärmeren Familien, die einen gewichtigen Teil der erfassten Population von Patienten ausmachen. Unter diesen Umständen streben die Jungen aus dem Haus, während die Mädchen im Hause helfen oder als Hauspersonal arbeiten, wobei sie wenig Gelegenheit zu sozialen Kontakten haben.

Enge Bindungen zwischen Schwestern sind nicht mit dem Makel des Missfälligen behaftet, wie das bei Brüdern der Fall sein mag. »Weibisch« und »homosexuell« wird man in unserer Kultur eher Brüder nennen als Schwestern, besonders wenn es um Küssen, Herzen, Händehalten usw. geht.

Schwestern können in ihren Heiratsmöglichkeiten stärker beschränkt werden, da es ihnen unsere Kultur nicht erlaubt, sich dem anderen Geschlecht von sich aus zu nähern. Tatsächlich kann eine enge, aber eifersüchtige Beziehung zwischen Schwestern sehr wohl geeignet sein, mögliche Bewerber abzuschrecken. Noch mehr als Brüder können Schwestern beträchtliche Schuldgefühle und Angst empfinden, wenn sie sexuelle Beziehungen eingehen, so dass sie sich in die Schwesternbeziehung zurückflüchten, um ein Ventil für Gefühle zu finden, die sie nicht anzuerkennen wagen. In diesem Zusammenhang ist die Feststellung interessant, dass Kallmann in seinen Zwillingsuntersuchungen einen Frauenüberschuss von 20 Prozent verzeichnet, dass bei Slater von 28 konkordanten Paaren 22 weiblich sind und Essen-Möller 17 weibliche und neun männliche konkordante Paare angibt. In Slaters Gesamt-Zwillingsreihen übersteigen die weiblichen Index-Fälle die männlichen im Verhältnis von 2:1. Von 115 zweieiigen. und 41 eineiigen Paaren sind 103 weiblich. Von den 41 konkordanten Paaren sind 31 weiblich.

Diese Beobachtung von Geschlechtsunterschieden bei zweieiigen Zwillingen bzw. Geschwistern erscheinen mir, zusammengenommen mit dem Konkordanzunterschied bei gleichgeschlechtlichen gegenüber verschiedengeschlechtlichen zweieiigen Zwillingen bzw. dem zwischen zweieiigen Zwillingen und gewöhnlichen Geschwistern, als signifikant. Ihre Bedeutung wächst noch, wenn man feststellt, dass folie à deux bei Frauen viermal so häufig wie bei Männern und am häufigsten bei Schwesterpaaren vorkommt. Da folie à deux und die Psychosen von Zwillingen eine Reihe von Faktoren gemeinsam haben, ist dieser Gegenstand einer näheren Betrachtung wert.

 

Folie à deux

Viele der Falldarstellungen in der Literatur über Zwillinge, die in punkto Schizophrenie konkordant sind, verwenden im Titel den Ausdruck »folie à deux«. Einige der frühesten Berichte in der Literatur verwenden sogar Bezeichnungen wie »Zwillingsverrücktheit«, »la folie gemellaire« und »Zwillenschriften«, die eine einzige klinische Entität decken.

Trägt der Zwillingsstatus selbst bedeutend zu der hohen Konkordanzrate bei eineiigen Zwillingen bei, dann sind klinische Ähnlichkeiten zwischen ihren Psychosen und der folie à deux zu erwarten. Folgende wichtige Ähnlichkeiten lassen sich feststellen.

Der übereinstimmendste Befund bei folie à deux ist nach Gralnick eine über lange Zeit bestehende Verbindung zwischen dem Paar, die gewöhnlich mit gegenseitiger Isolation einhergeht. Deutsch, Fenichel, Burlingham und Cronin haben festgestellt, dass es sich um eine unbewusste. Gemeinschaft, nicht um ein bloßes Zusammenleben handelt. Vergleichen wir dieses Faktum mit jenem, das jeder Zwillingsreport, den ich besprochen habe, erwähnt: die Stärke der Bindung zwischen dem Paar, sei sie nun positiv oder von gegenseitigem Antagonismus und Eifersucht geprägt. Es gibt keine indifferenten Fälle. Diese Feststellung lässt sich aufgrund eines Überblicks über 60 Falldarstellungen in der Literatur treffen. Trotz der Tatsache, dass die große Mehrheit dieser Fälle nicht auf psychodynamischer Grundlage dargestellt wird, lassen die historischen Daten und die Beschreibung der Wahnzustände keinen Zweifel an der Existenz einer feindseligabhängigen Bindung.

Wichtige Daten über diese Verbindung lassen sich Kallmanns Bericht von 1946 entnehmen. Zweiundfünfzig seiner eineiigen Zwillinge wurden mindestens fünf Jahre vor Ausbruch der Psychose bei einem von ihnen getrennt; 115 trennten sich nicht. Die Gruppe der »Getrennten« hatte eine berichtigte Konkordanz von 77,6 Prozent, die Gruppe der »Nicht-Getrennten« hingegen eine Konkordanz von 91,5 Prozent. Diese Differenz ist höchst signifikant, wenn man bedenkt, dass das Durchschnittsalter 33 Jahre betrug. Sogar wenn die Trennung nach den Prägungsjahren erfolgte, wurde die Konkordanzrate augenscheinlich ganz erheblich herabgesetzt. Unter einem anderen Gesichtspunkt ist es bemerkenswert, dass eine so große Zahl noch in diesem hohen Alter zusammenlebte. Ich habe bereits die Studie von Wilson erwähnt, aus der hervorgeht, dass 43 Prozent seiner eineiigen Zwillinge (College-Durchschnitt) nicht einen Tag lang getrennt gewesen ist. Luxenberger und Stolze, obwohl genetisch orientiert, räumen ein, dass die enge Verbindung von Zwillingen eine einzigartige Psychose erzeugt.

Psychose aufgrund von Vereinigung setzt offensichtlich eine soziale Isolation voraus, damit sie sich entwickeln kann. Abgesehen davon, dass soziologische Studien die Bedeutung der sozialen Isolation für die Schizophrenie im allgemeinen klargestellt haben, sind auch Falldarstellungen von Zwillingen, die in Bezug auf Schizophrenie konkordant sind, voller Hinweise auf Zurückgezogenheit, Religiosität, Tugendhaftigkeit und mangelnde Intellektualität. Diese Charakteristika verstärken die Absonderung des Zwillingspaares von der übrigen Welt und begünstigen eine gemeinsame Ich-Verschmelzung. Die Identifizierung in der folie à deux ist von Gralnick, Brill, Deutsch und Oberndorf hervorgehoben worden. Der Versuch des einen, wie der andere zu sein, ist der Ich-Verschmelzung bei einigen Zwillingen nicht unähnlich.

Wie schon gesagt, besteht eine der auffallendsten Übereinstimmungen zwischen der Schizophrenie bei Zwillingen und der folie à deux darin, dass beide so häufig beim weiblichen Geschlecht auftreten. Folie à deux ist bei Schwestern viermal so häufig wie bei Brüdern, und Mutter-Tochter-Verbindungen sind doppelt so häufig wie Mutter-Sohn-Paare. Diese Bündnisse kommen achtzehn- bzw. achtmal so häufig vor wie Vater-Tochter- und Vater-Sohn-Bündnisse. Dem Einwand, diese Fälle könnten alle zufällig eine hereditäre Basis haben, muss man entgegenhalten, dass Verbindungen von Mann und Frau gleich hinter solchen von Schwester-Schwester und Mutter-Tochter kommen. Ferner erwähnen die Berichte über folie à deux Familiengeschichten, die in Bezug auf Schizophrenie negativ sind, und das gilt auch für eine Reihe von Zwillingsreporten. Gralnick stellt dazu fest: »Die Häufigkeit, mit der folie à deux in Familien auftritt..., beweist nicht unbedingt die Bedeutung der Heredität. Nur in der Familieneinheit, wie wir sie kennen, können alle Faktoren und Mechanismen oder doch die meisten von ihnen, die wir angeführt haben, wirksam werden.« Außerdem muss man vielleicht darauf hinweisen, dass in der folie à deux wie in der Ich-Verschmelzung von Zwillingen homosexuelle Ängste und Eifersucht zu tage treten. Selbst in den Zwillingsberichten, die so gut wie kein psychodynamisches Material vermitteln, werden im Inhalt von Wahnvorstellungen und Halluzinationen homosexuelle Probleme deutlich. Zwei Falldarstellungen über konkordante Zwillinge erwähnen zum Beispiel die Angst, an einer Banane zu ersticken, während in zwei Berichten über weibliche Zwillinge von der Angst die Rede ist, mit Samen vergiftet zu werden. (Lidz' Bericht über ein Paar eineiiger Zwillinge mit Konkordanz für Schizophrenie, einer der wenigen psychodynamisch orientierten, ist leider noch unveröffentlicht.)

Da weibliche Fälle häufiger sind, ist die Feststellung interessant, dass man dem homosexuellen Element bei männlichen Paaren mehr Beachtung geschenkt hat - vermutlich liegt das an den schon erwähnten kulturellen Faktoren sowie an der Tatsache, dass das sexuelle Element in der Beziehung von Schwestern am häufigsten die Form gegenseitiger Eifersucht und starker Ablehnung jeder Beziehung mit einem Mann annimmt.

Ich habe die übliche Form von Schizophrenie, wie sie anhand von konkordanten eineiigen Zwillingen dargestellt worden ist, mit folie à deux verglichen wegen des interessanten Geschlechterverhältnisses, der Übereinstimmung im Krankheitsausbruch und des »induzierten« Charakters der Psychose beim als zweitem erkrankten Zwilling. Diese allgemeinen Faktoren sowie die Anzahl nicht blutsverwandter Fälle von folge à deux sprechen, wie es scheint, nicht für die Validität einer erbbiologischen Argumentation. Dazu ist Trennung, ebenso wie sie bei Paaren mit folie à deux nachgewiesenermaßen therapeutisch wirkt, offensichtlich auch bei eineiigen Zwillingen, die in einer kranken Umgebung aufgewachsen sind, therapeutisch angebracht - ein Faktum, das ebenfalls gegen eine primär hereditäre Basis bei beiden Krankheiten spricht. Denn in den relativ wenigen Fällen eineiiger Zwillinge mit Diskordanz für Schizophrenie, die in der Literatur dargestellt wurden, scheint Trennung der gemeinsame Nenner zu sein. In einigen Fällen wurden die Zwillinge geographisch getrennt; in anderen traten körperliche Krankheit oder Gebrechen als Faktor der »Trennung« auf. Luxenberger hob diesen »Trennungsschutz« hervor, wenn auch aus anderen Gründen. Bei der Untersuchung konkordanter eineiiger Zwillinge weiblichen Geschlechts stellte er fest, dass es bei denen, die heirateten und Mutter wurden, nicht zur Ausbildung von Schizophrenie kam. Er betonte deshalb die Bedeutung eines »sexuellen Gleichgewichts« oder Metabolismus als einen Faktor, welcher der Schizophrenie entgegenwirke. Dass der zurückgelassene Zwilling dann schizophren wurde, dürfte allerdings eher auf psychologische Faktoren als auf endokrinologische zurückzuführen sein; auch dass die Zwillingsschwester die Fähigkeit zum Fortgehen hatte, dürfte Beweis für ihre größere geistige Gesundheit sein.

Eine ganz andere Auffassung der Psychosen von Zwillingen und der folie à deux kann der Leser Kallmanns Aufsatz zu dem Thema entnehmen. Er wurde geschrieben, kurz nachdem der Autor seine erste große Zwillingsuntersuchung vor der American Psychiatric Association vorgetragen hatte, und sollte wohl eine Widerlegung von Fragen sein, die auf der Tagung hinsichtlich der einzigartigen Umwelt von eineiigen Zwillingen geltend gemacht worden waren. Kallmann stellt fest: »Das Resultat [soziogener Theorien] ist fast zum Aberglauben an ein geheimnisvolles Phänomen geworden, das durch persönlichen Kontakt Geisteskrankheit erzeugt. Auf diese ziemlich nebulose Weise hat man die folie à deux zu einem bequemen Mäntelchen gestreckt, das sich alle Untersucher umhängen können, die weiterhin dem Prinzip der Heredität beim Menschen in jeder Form widersprechen.«

Abgesehen von dem stark emotional gefärbten Ton des ganzen Aufsatzes: Kallmann hat ganz recht, wenn er den unterschiedslosen Gebrauch der Bezeichnung »folie à deux« kritisiert. Allerdings umfasst der Begriff mehr als nur Psychosen, die bei zwei Familienangehörigen auftreten, wie nicht zuletzt seine eigenen Beispiele zeigen. Die Literatur über folie à deux schildert die Existenz gemeinsamer Wahnvorstellungen, eine starke Wechselbeziehung zwischen den Symptomen sowie ein gemeinschaftliches effektives Element, welches das Ganze größer macht als die Summe seiner Teile. Da in keiner der Studien, die ich referiert habe, für die Ähnlichkeit der Symptome eine genetische Basis festgestellt werden konnte und da sich solche Ähnlichkeit an Gruppen oder an Paaren, die nicht blutsverwandt sind, demonstrieren lässt, liegen Gründe genug vor, Kallmanns starken Widerstand gegen eine Interpretation der folie à deux auf der Grundlage von Umweltbedingungen mit Fragezeichen zu versehen.

Schließlich hat die Frage nach der Bedeutung des Bündnisses in der Psychose eineiiger Zwillinge noch einen weiteren Aspekt. Wie Oggioni festgestellt hat, hängt die Ähnlichkeit der Symptome eineiiger Zwillinge davon ab, wie lange sie krank gewesen sind. Er fährt mehrere, hinsichtlich der Symptome diskordante Fälle an, die nach ihrer Hospitalisierung konkordant wurden. Dieses Faktum lässt sich mehreren Falldarstellungen entnehmen, mag es auch nicht besonders kommentiert werden. Kallmann hat Konkordanz hinsichtlich der Schizophrenieform bei eineiigen Zwillingen als wichtiges Argument zugunsten einer genetischen Verursachung benutzt. Da jedoch trotz intensiver Untersuchungen von Leonhard, Kleist, Schulz, Bleuler und anderen keine Beziehung zwischen Schizophrenieform und genetischer Struktur festgestellt werden konnte, darf man wohl fragen, ob nicht das Bündnis zwischen den Zwillingspartnern eine ebenso große Rolle bei der Gleichartigkeit der Symptome eineiiger Zwillinge spielt wie die biologische Vererbung. Mehrere Falldarstellungen schildern Schwestern bzw. zweieiige Zwillinge mit auffallend ähnlichen klinischen Merkmalen.

 

Fälle aus der Literatur

Es liegen etwa 60 Falldarstellungen über Schizophrenie bei eineiigen Zwillingen in der Literatur vor. Wenige davon enthalten irgendwelches psychodynamisches Material. Ausnahmen sind die Falldarstellungen von Kasanin, Oatman, Adler und Magruder und Lidz, wobei einzig der Aufsatz von Lidz eine detaillierte psychodynamische Studie bildet. Viel Material dieser Art lässt sich jedoch aus anderen Aufsätzen schöpfen, und es ist bemerkenswert, dass bei einer Reihe von ihnen die Familiengeschichte, sowohl in den zurückliegenden Generationen wie in den Seitenlinien, in punkto Schizophrenie negativ ist, wobei jedoch die Konkordanz an sich als Beweis für einen genetischen Ursprung angeführt wird. Besonders auffallend ist das bei Slaters Fall, da er von zwei Zwillingsschwestern berichtet, die getrennt aufgewachsen sind und angeblich beide eine Schizophrenie entwickelt haben, und dabei den Fall als entscheidend für die genetische Theorie präsentiert.

Die Falldarstellungen lassen sich in zwei Hauptgruppen unterteilen: in der ersten wird ein Zwilling als schizophren geschildert, der andere als normal, neurotisch oder (in mindestens vier Fällen) als manisch-depressiv. Wenn Informationen darüber vorhanden sind, wird klar, dass die diskordanten Zwillinge sehr verschiedene Umweltbedingungen gehabt haben. Kihn erwähnt mehrere Fälle, in denen ein eineiiger Zwilling schizophren und der andere manisch-depressiv ist. Er stellt fest, dass er mit Luxenberger darin übereinstimmt, dass der Ausgang der Psychose bei Zwillingen entsprechend ihren äußeren Bedingungen schwanken kann. Das steht in bemerkenswertem Gegensatz zu Kallmann, der darauf beharrt, dass keine Überschneidungen von schizophrenen und effektiven Störungen vorkommen, wenn geeignete diagnostische Kriterien verwendet werden. Noch 1958 hat Kallmann behauptet, manisch-depressive Psychosen und Schizophrenie träten bei eineiigen Zwillingen nicht zusammen auf. Interessanterweise tadelt Slater seine Kollegen, weil sie Kallmanns Behauptung nicht beachten und daran festhalten, dass es Überschneidungen zwischen den beiden Störungen gebe; dabei ist Slater selbst einer von denen, die von einem eineiigen Zwillingspaar mit beiden Störungen berichtet haben.

In der zweiten Hauptgruppe sind die Zwillinge hinsichtlich Schizophrenie konkordant und haben ihre Psychosen am selben Tag oder im Zeitraum von wenigen Wochen nacheinander entwickelt; und dazu ist ihnen eine typische folie à deux Situation gemeinsam bzw. ahmen sie einander in einer Weise nach, die nach Stolze nur bei eineiigen Zwillingen zu finden ist. Er meint, die Symptomatologie unterscheide sich von jener der gewöhnlichen Schizophrenie, und berichtet von einem anschaulichen Fall. Allerdings gibt es in der Literatur mehrere Berichte, die sogar noch eindrucksvoller sind als der von Stolze; und Siemens berichtete, dass drei von sechs eineiigen Zwillingen einen gleichzeitigen Krankheitsausbruch hatten.

Unter den Falldarstellungen von diskordanten Zwillingen ist die schon erwähnte von Wiggers es wert, dass sie jeder Untersucher des Anlage-Umwelt-Problems genau studiert. Zwar hatte der eine Zwilling, während sein Bruder ausgesprochen schizophren wurde, weiterhin einen adäquaten Realitätsbezug, doch scheint das vorgetragene Material, insbesondere ein langer Brief des nicht-schizophrenen Zwillings an den Arzt seines Bruders, auf eine typisch gestörte Zwillingsbeziehung hinzuweisen. Die Brüder waren in einem Haus aufgewachsen, dessen Bedingungen als gut beschrieben wurden, und der einzige mögliche Schizophrene in der Familiengeschichte ist ein Bruder der Großmutter, der mit der Diagnose Dementia hospitalisiert war. Besonders interessant ist die Feststellung, dass der schizophrene Zwilling von der Familie fortgeschickt wurde, als Strafe für sexuelle Betätigung, an der beide Brüder beteiligt waren, während der andere Zwilling zu Hause blieb. Augenscheinlich hat es bereits einen Unterschied in der Familienrolle gegeben, wobei der eine Zwilling in der glücklicheren Position war. Die wenigen Berichte in der Literatur über diskordante Zwillinge zeigen, dass der schizophrene Zwilling aus einer Reihe von Gründen zunehmend erfolglose Beziehungen hat. Wie es scheint, wird bei einem Zwilling ein schlechteres Verhalten im Vergleich zum anderen Zwilling viel weniger toleriert als bei gewöhnlichen Geschwistern.

Unter den Falldarstellungen der zweiten Gruppe - konkordante Zwillinge - findet sich ein aufschlussreicher und typischer Fall, der von Oatman berichtet wird; es handelt sich um eineiige Zwillingsbrüder der schwarzen Rasse, die, als sie eingezogen und zu einem Armeelager beordert wurden, gleichzeitig schizophren wurden. Mindestens fünf Jahre davor hatten Hochschulfreunde bemerkt, dass sie sich mit Handsignalen verständigten und von telepathischen Kräften sprachen. Dieser Fall ähnelt dem von Rubin und hat mit anderen Darstellungen eineiiger Zwillingsbrüder, die in Bezug auf Schizophrenie konkordant wurden, mehrere Züge gemeinsam: 1. Es gab einen Versuch, sie zu trennen, der fehlschlug; 2. es existieren homosexuelle Ängste und homosexuelle Wahnvorstellungen; 3. sowie die Zwillinge psychotisch sind, klammern sie sich aneinander und können nur mit Gewalt getrennt werden, und jeder Unterschied in ihrer Symptomatologie wird verwischt, je länger der Krankenhausaufenthalt dauert. Schon 1859 berichtete Moreau de Tours von dieser Situation. Viele Berichte erwähnen die Isolierung der Zwillinge von den übrigen Patienten im Hospital; und nach den dargestellten Fällen zu urteilen, werden die Zwillinge gewöhnlich nicht getrennt.

Wiggers Fall deutet darauf hin, dass der Unterschied zur konkordanten Situation nur graduell ist. Ob die Trennung nun auf die Haltung der Familie zurückgeht oder rein zufällig ist, sie scheint in den als diskordant dargestellten Fällen eine gewichtige Rolle zuspielen.

Faszinierend und immer wiederkehrend in diesen Krankengeschichten ist der Befund, dass der erstgeborene Zwilling in der Lage ist, in der Situation einer folie à deux die Führung zu übernehmen. Wynne berichtet in einer detaillierten Studie über eineiige Vierlinge weiblichen Geschlechts, die schizophren wurden, dass sie alle innerhalb von 17 Minuten auf die Welt kamen, die Erstgeborene jedoch die verantwortliche »Älteste« blieb, während die zuletzt Geborene das »Baby« wurde. Diese Studie stellt eines der interessantesten Dokumente dar, die zum Anlage-Umwelt-Problem vorliegen. Bei der folie à deux hat häufiger der ältere der beiden Geschwister die »Führung«, während bei verschiedengeschlechtlichen Zwillingen häufiger die Schwester die Führungsrolle innehat (siehe dazu z. B. Slaters Zahlen).

Das Problem des Beisammenseins und doch nicht Beisammensein oder sich trennen Könnens ist in den Falldarstellungen eineiiger Zwillinge mit Schizophrenie überreichlich zu finden. Das ist mehr als nur ein Problem von Zwillingen, die sich in der Kindheit gleichen. Oft besteht es noch in den Reifejahren. Die Teilung der Mutter scheint ein besonders dornenvolles Problem zu sein, ebenso die bereits erwähnte Identitätsschwierigkeit und die homosexuellen Implikationen der gegenseitigem Teilhabe. In dieser Hinsicht sind Kallmanns Zahlen in Bezug auf männliche Homosexualität bei Zwillingen aufschlussreich; er fand bei eineiigen Zwillingen eine Konkordanzrate von 100 Prozent in punkto Homosexualität, bei zweieiigen betrug sie 42 Prozent. Kallmann und Shea haben in dieser hohen Konkordanz einen Beweis für die biologische Vererbung der Homosexualität gesehen, aber dieses Untersuchungsergebnis hat sich nicht bestätigt und berücksichtigt keine weiblichen Zwillinge; außerdem ist auch von eineiigen Zwillingen berichtet worden, die in Bezug auf Homosexualität diskordant sind. Bei den 40 männlichen Fällen, die Kallmann untersucht hat, sollen zwischen den Zwillingen keine Sexualspiele stattgefunden haben, was angesichts der üblichen Situation zwischen männlichen Geschwistern ein bemerkenswerter Befund ist. Möglicherweise ist die homosexuelle Betätigung mit Außenstehenden eine Abwehr gegen die Verschmelzung mit dem anderen Zwilling.

Adler und Magruder haben von einem Fall berichtet, der Züge von folie à deux wie von Zwillingspsychose trägt - wobei die gemeinsame Symptomatologie die Spaltung der Zwillinge in einen aktiven und einen passiven Teil überwiegt. Sechsundzwanzigjährige eineiige Zwillingsschwestern zeigten eine bedeutende Gemeinsamkeit - oder, wie ich es genannt habe, Ich-Verschmelzung -, die trotz ihrer Verheiratung anhielt. Die eine blieb in der sechsten Klasse sitzen, und die andere verließ lieber die Schule, als sich von der Schwester trennen zu lassen. Mit 17 heirateten beide Farmer - Alkoholiker und schlechte Versorger -, verbrachten aber weiterhin die meiste Zeit in ihrem Vaterhaus. Nachdem eine der beiden Zwillingsschwestern fortgezogen und anschließend ohne ihren Mann zurückgekehrt war, trieb die andere ihren Mann aus dem Haus. Nachdem er jedoch eines Abends zu Besuch gekommen war, kamen die Schwestern zu der Überzeugung, ihr Vater sei tot, und eine von ihnen entwickelte die Wahnvorstellung, der zu Besuch gekommene Ehemann habe versucht, ihre Schwester zu vergiften, eine Vorstellung, welche die Schwester akzeptierte - worauf die Ehefrau es in Abrede stellte. Nach ihrer Entlassung aus dem Hospital hielten jedoch beide die Beschuldigung aufrecht, überzeugten offensichtlich andere von deren Richtigkeit und lebten weiter zusammen, womit sie den sich dazwischen drängenden Ehemann ausgeschlossen hatten.

Solomon und Bliss berichteten von einem fast gleichzeitigen Ausbruch von Schizophrenie bei einem Paar männlicher, homosexueller eineiiger Zwillinge. A erkrankte wegen einer Affäre mit der Frau von seinem besten Freund, und B wurde aus Sorge um seinen Bruder krank. Über die denkbare Beziehung zur Teilung der Mutter kann man nur Vermutungen anstellen. Es existieren verschiedene ähnliche Berichte über Zwillingsgeschwister, die wegen der Erkrankung des anderen Zwillings zunehmend in Sorge geraten und sich schließlich mit ihm zu einem Duett der Realitätsabgewandtheit zusammentun.

Allgemein taucht in den Falldarstellungen eine dritte Partei auf, welche die Zwillingsbeziehung offensichtlich bedroht. Berichte darüber finden sich z. B. bei Cronin, Lidz, Adler und Magruder, Gardner und Stephens, Murphy und Luidens sowie Heuver und Longuet.

Noch mehr, als einen Dritten in die Rolle des Bösewichts zu bringen, können die Zwillinge allerdings sich gegenseitig als Verfolger beschuldigen. (Das ist ein bemerkenswertes Merkmal bei den beiden Fällen von eineiigen Zwillingen, die getrennt aufwuchsen, wie wir noch sehen werden.)

Ein Fall, von dem Weatherly und Diabler berichtet haben, veranschaulicht vielleicht am besten die Ambivalenz einer gestörten Zwillingsbeziehung. Obgleich die Autoren die genetischen Merkmale hervorheben, kommt in der Familiengeschichte keine Schizophrenie vor, abgesehen von einer älteren Schwester mit einer ungewissen Diagnose. Es existierten 11 Geschwister, die Zwillinge wurden als siebte geboren. Der Vater wird als streng, die Mutter als warmherzig und an ihren Kindern interessiert geschildert. Sie meinte: »Tom ist so babyhaft, dass ich glaube, ich habe ihn zu sehr an meine Schürzenbänder gebunden.« Obwohl Tom größer war (und später die Führung hatte), fiel es selbst der Mutter schwer, die Zwillinge auseinander zu halten. Bis ins Hochschulalter, als sie auf verschiedene Schulen gingen, waren sie eng zusammen. Drei Jahre später gingen beide von der Schule ab, vielleicht weil ihr Vater in dem Jahr gestorben oder weil ihre Schwester zwei Jahre davor hospitalisiert worden war.

Tom trat, als er fast zwanzig war, in die Armee ein und wurde zwei Jahre später entlassen. Zwei Jahre darauf schloss er sich den Marineinfanteristen an, und ein Jahr später tat John es ihm gleich. Nach etwas über einem Jahr wurde John »abrupt« psychotisch. Er hörte Stimmen, war furchtsam und kam ins Hospital. Später hörte Tom Stimmen, die ihn sonderlich nannten, und kam ins Hospital. Nach einer therapeutischen Behandlung wurden beide Zwillinge entlassen und kehrten nach Hause zurück. Bald darauf kam Tom wegen homosexueller Ängste erneut ins Krankenhaus, und John wurde nach einem Besuch bei seinem Bruder im Hospital abrupt psychotisch. Sein Zustand besserte sich, als er auf dieselbe Station gelegt wurde wie sein Bruder.

Als Tom probeweise auf Besuch zu Hause war, flüchtete John, und beide lebten fünf Monate zusammen in ihrem Elternhaus. John wurde wieder ins Hospital gebracht, entfloh abermals, kehrte nach Hause zurück, und diesmal wurden beide Zwillinge zusammen ins Hospital gebracht. Sie waren nun antagonistisch geworden. Als Tom abermals auf Probe nach Hause entlassen wurde, riss John aus und kehrte ebenfalls nach Hause zurück; dort machte er einen ernsthaften Selbstmordversuch. Er wurde einer lobotomen Gehirnoperation unterzogen, besserte sich und kehrte nach Hause zurück, worauf Tom »weinerlich, appetitlos und bedrückt« wurde und äußerte: »Ich habe niemand verletzt. « Dieses beispiellose Hin und Her wird auch in anderen Falldarstellungen beschrieben und weist mit Bestimmtheit auf ein psychodynamisches Wechselspiel hin, das ein Grundzug der Psychosen eineiiger Zwillinge ist.

Ein weiterer interessanter Bericht ist der von Walther-Buel und Storch. Sie besprechen ein Paar eineiiger Zwillinge mit Konkordanz für Schizophrenie und stellen dazu fest, die Zwillinge kämen aus einer derart traumatischen Umwelt, dass die Entscheidung schwierig sei, ob Heredität oder Zwillingsstatus irgendeine Rolle gespielt hätten. Dieser Aufsatz stellt eine Ausnahme dar (besonders in der europäischen Fachliteratur), da Konkordanz bei eineiigen Zwillingen meistens zu der unitarischen Vorstellung verleitet, dass selbst bei Vorliegen einer negativen Familiengeschichte die biologische Vererbung den bestimmenden Faktor darstelle.

Interessant ist der Vergleich dieser Zwillingsuntersuchungen mit Murphys Bericht über zwei Mädchen, die, von verschiedenen Eltern abstammend, von derselben Familie adoptiert wurden. Im Abstand von wenigen Jahren wurden beide Mädchen schizophren, und die Studie liest sich wie ein Zwillingsreport. Die jüngere behielt ihre »Baby-Rolle« in der Psychose bei, was an die Zwillingsberichte erinnert, die auf eine Spaltung in den »Jüngeren« und den »älteren« Zwilling aufmerksam machen, oder auch an Falldarstellungen von folie à deux, in denen ein »stärkerer« und ein »schwächerer« Partner auftreten.

Schließlich möchte ich den Leser auf Essen-Möllers eigene zusammenfassende Darstellung über seine sieben eineiigen Zwillingspaare hinweisen. Kallmann entdeckt darin eine Konkordanzrate von 71 Prozent, doch muss daran erinnert werden, dass Essen-Möller selbst diese Zahl nicht geltend gemacht hat; sie beruht offensichtlich darauf, dass ähnliche präpsychotische Charakterzüge bei den Zwillingen, nicht aber ihre schizophrenen Psychosen auf einen Nenner gebracht wurden. Die Fälle sind allerdings einer Untersuchung wert.

Wie bereits gesagt, existieren in der Literatur über Fälle von Schizophrenie bei eineiigen Zwillingen, die von Kind an getrennt aufwuchsen, ganze zwei Studien, von denen eine von Kallmann und die andere von Craike und Slater stammt. Da diesen Fällen ein so ungeheures Gewicht beigemessen worden ist, würde ich allen an dem Problem der Ätiologie Interessierten dringend raten, die Berichte selbst zu lesen. Sie werden als entscheidend wichtige Naturexperimente auf dem Gebiet von Anlage und Umwelt präsentiert und wären es zweifellos auch, wenn sich weitere Fälle finden ließen, die dieser Häufung den bloßen Zufälligkeitscharakter nehmen würden, und wenn die betreffenden Zwillinge nachweisbar in verschiedenen Umwelten aufgewachsen wären. Es liegen jedoch nur zwei Fälle vor, und keiner davon scheint mir dem Kriterium der »getrennten Umwelt« zu entsprechen. (Dass Trennung auffällige Unterschiede produzieren kann, geht aus dem Buch von Newman und Mitarbeitern über Zwillinge hervor, in dem z. B. die Rolle der Umwelt bei der Bestimmung des Intelligenzgrades mit 60 Prozent angegeben wird. Die größte Differenz fand sich bei einem Paar Zwillingsschwestern, von denen die eine nur wenig Schulbildung, die andere einen College-Abschluss hatte; die erste hatte einen Intelligenzquotienten von 92, die zweite von 116.)

Die ältere dieser beiden Studien ist die von Kallmann; sie beschäftigt sich mit den erbgleichen Zwillingen Käte und Lisa. Die Familiengeschichte zeigt Alkoholismus, Exzentrizität und eine Mutter mit »begrenzten geistigen Fähigkeiten«; sie war Hausangestellte und beeindruckte alle ihre Dienstherren mit absonderlichem Verhalten; die Zwillinge gebar sie unehelich, und sie wurde, bevor sie Tuberkulose bekam, zweimal eingeliefert, geistig und körperlich zerrüttet; mit 42 Jahren starb sie.

Jeder der Zwillinge wurde kurz nach der Geburt von einem Onkel mütterlicherseits adoptiert. Diese Brüder lebten in verschiedenen Städten und waren sehr schlecht aufeinander zu sprechen, so dass sich die Zwillinge in ihrem ersten Lebensjahrzehnt nur wenige Male und immer nur für kurze Zeit sahen; später begegneten sie einander dann häufiger. Offensichtlich übernahmen sie die Beziehung der gegenseitigen Feindschaft zwischen ihren Onkels und nahmen sich gegenseitig aufs Korn. Obwohl sie auf der Schule gut mitkamen und beide die höheren Klassen erreichten, berichteten ihre Onkels unabhängig voneinander, dass sie »schwer zu belehren, widerspenstig, dickfellig und gleichgültig« seien und immer das Gegenteil täten von dem, was ihnen gesagt werde. Käte hatte Masern mit 10, während Lisa keine hatte; im übrigen entwickelten sie sich ähnlich und hatten beide im Alter von 12, im selben Monat, ihre erste Menstruation. Körperlich waren sie beide genau gleich groß und hatten die gleichen blauen Augen und blonden Haare; sie werden als auffallend hübsch geschildert.

Nach ihrem Schulabgang war Käte in einer Fabrik beschäftigt, während Lisa Hausangestellte wurde. Käte wurde mit 15 schwanger und brachte ein Baby zur Welt, das in einem Waisenhaus aufwachsen musste; ansonsten war das Kind normal. Die Geburt verlief ohne Komplikationen, aber ein paar Tage danach wurde Käte aufgeregt und verstört und verfiel schließlich in einen katatonischen Stupor, so dass sie 1928 ins Herzberg Hospital eingeliefert wurde. Abgesehen von einer kurzen Besserung im Jahre 1930, als sie in die Obhut der Familie entlassen wurde, ging es mit ihr bergab. Im Juni 1930 wurde sie erneut eingeliefert.

Lisa, die Jungfrau geblieben war und weiterhin als Hausangestellte arbeitete, begann etwa zu der Zeit, als Käte (im Februar 1930) aus dem Hospital entlassen wurde, ebenfalls schizophrene Symptome zu zeigen. Diese hatten die Form langsam wachsender Hilflosigkeit und Gefühlsabstumpfung, die ein solches Ausmaß annahmen, dass sie im Juni 1930, zur selben Zeit wie Käte, hospitalisiert wurde. Sie wurde jedoch niemals so krank wie Käte; zur Zeit des Berichts sind sie Patienten desselben Hospitals.

Bei der Besprechung dieses Falles behauptet Kallmann, dass die Umwelt, da die Zwillinge gänzlich anderen Lebensbedingungen ausgesetzt gewesen seien, keine Rolle bei der Entwicklung ihrer Psychose gespielt habe. »Einen besseren Beweis für die erbliche Bedingtheit der Schizophrenie, als hier geboten wird, wird es nicht geben«, schreibt er und setzt hinzu: »Dieser Fall beweist mit fast der Genauigkeit eines Reihenexperiments, dass bestimmte somatogene Faktoren bei der Manifestation einer hereditären Prädisposition für Schizophrenie als dispositionelle Determinanten gerechnet werden müssen.« Kätes Schwangerschaft erzeugt dem Autor zufolge »eine vorreife Revolution des inneren Sekretionssystems, besonders der Geschlechtsdrüsen - dagegen reifte Lisa, die jungfräulich blieb, langsam und erreichte ihre Weiblichkeit in regelmäßigen Abstufungen.« Es ist schwer, die Betonung somatischer Faktoren durch den Autor mit dem Faktum zu vereinbaren, dass Lisa nur 15 Monate nach ihrer Schwester hospitalisiert wurde.

Was die Beziehung zwischen den Zwillingen betrifft, die zur Ausbildung von folie à deux Symptomen geführt haben könnte, meint Kallmann: »Es überrascht deshalb nicht, dass die beiden Mädchen im Verlaufe ihrer aufeinander folgenden Psychosen sich emotional so völlig fremd wurden, dass sie schließlich keinen wie auch immer gearteten effektiven Kontakt miteinander hatten, sondern einander sogar als Zielscheibe für gehässige Angriffe benutzten.« Dieser Feststellung liegt eine viel engere Definition von Affekt zugrunde, als die meisten heutigen Autoren zugestehen würden; denn die Zwillinge waren einander eindeutig alles andere als gleichgültig.

Kallmann hebt auch die räumliche Trennung hervor und erörtert die Verschiedenheit der Umwelt. Da die Adoptivväter jedoch verfeindete Brüder waren und über die Entwicklung der Zwillinge äußerst ähnliche Berichte abgaben, und da die Tätigkeit beider Zwillinge (Fabrikarbeit, Hausarbeit) für einen homogenen sozialen Hintergrund spricht, fragt man sich allerdings, ob der Unterschied so groß gewesen sein kann, wie er es angeblich gewesen ist.

Der zweite dieser beiden wichtigen Fälle - berichtet von Cralke und Slater - handelt von weiblichen Zwillingen, die von ihrem neunten Monat an, seit dem Tode ihrer Mutter, getrennt aufgewachsen sind. Der Vater heiratete wieder, und Florence wurde von einer unverheirateten Tante mütterlicherseits adoptiert. Edith blieb bei ihrem Vater, der ein Alkoholiker wurde und sie misshandelte. Als sie acht Jahre alt war, versetzte er ihr eines mit dem Rasiermesser, worauf man sie in ein Kinderheim steckte, in dem sie bis zu ihrem neunzehnten Lebensjahr blieb. Obwohl zwischen den Zwillingen, bis Sie 24 waren, angeblich kein Kontakt stattfand, wusste Edith, als sie bei ihrem Vater lebte, bestimmt von Florences Existenz; denn sie erklärte, Florence mache ihr Scherereien, indem sie ihrem Vater erzähle, dass Edith ihn einen Trunkenbold genannt habe. Angesichts ihrer späteren Feindschaft und Eifersucht kann es wichtig sein, dass sie frühzeitig voneinander wussten; denn trotz eines Mangels an direktem Kontakt werden sie kaum anders gekonnt haben, als sich zu fragen, wer von ihnen wohl besser weggekommen sei.

Edith arbeitete als Hausangestellte, und da sie an einem Arbeitsplatz elf Jahre blieb, war man offensichtlich mit ihr zufrieden; sie verlor diese Stelle mit 48. Man sagte ihr nach, sie sei freundlich und tüchtig, aber sie meinte, dass die Besucher des Hauses sie beschuldigten, Missetaten zu begehen. Sie ging in eine Glasfabrik, wo sie eine vorzügliche Arbeiterin gewesen sein soll, aber von Zeit zu Zeit ihren Vorgesetzten aufsuchte, um ihn zu fragen, ob sie durch ihre Gegenwart bei den übrigen Arbeitskräften irgendwelchen Ärger verursache. Die Autoren geben an, dass Edith, als sie interviewt wurde, »dazu neigte, misstrauisch und reserviert zu sein, aber keine charakteristischen schizophrenen Symptome zeigte.«

Die Autoren sagen zwar, Florence sei bei ihrer Tante glücklich gewesen, doch soll sie als Kind »nervös« und eine schlechte Schülerin gewesen sein, sich vor Dunkelheit gefürchtet und an zahlreichen Ohnmachtsanfällen gelitten haben. Mit 14 verließ sie die Schule und wurde ebenfalls Hausangestellte; sie bestahl ihren Dienstherrn und wurde für zwei Jahre in ein Kloster gesteckt. Wie es heißt, war sie dort glücklich, obwohl sie von der Tante getrennt war, die doch so gut zu ihr gewesen. Mit 18 hatte sie einen Anfall von »Nervenschwäche« mit Unterleibsschmerzen, Erbrechen und Nervosität. Während sie sich erholte, wohnte sie bei einer anderen Tante; ein Faktum, das weitere Zweifel an dem Versuch der Autoren aufkommen lässt, Florence so dazustehen, als habe sie ein liebevolles Heim gehabt.

Mit 24, nachdem eine Tante ihnen etwas Geld hinterlassen hatte, sollen die Mädchen zum erstenmal zusammengetroffen sein. Diese Zusammenkunft verlief offensichtlich ziemlich stürmisch, da Edith behauptete, Florence habe gesagt, sie habe für Edith das Fahrgeld nach London bezahlt, weshalb Edith in ihrer Schuld stünde. Florence beschuldigte Edith, ihr Geld aus dem Portemonnaie gestohlen zu haben. Trotzdem stellte Florence fest, wie gleich sie einander seien, und äußerte den Wunsch, mit Edith zusammenzuleben, was diese jedoch ablehnte.

Florence kehrte zu der Tante zurück, bei der sie seit ihrer Kindheit gelebt hatte. Die Zwillinge trafen sich weiterhin von Zeit zu Zeit; sie waren beide sehr religiös und gingen häufig zusammen in die Kirche. Beide wurden sie später etwas schwerhörig und beschuldigten sich gegenseitig, Taubheit vorzutäuschen; diese Schwerhörigkeit mag bei ihren Wahnvorstellungen eine Rolle gespielt haben, da jede von ihnen meinte, dass andere Menschen über sie redeten. Wenn sie einander eine Zeitlang nicht persönlich gesehen hatten, fingen sie an, sich gegenseitig zu beschuldigen, einander nachzuspionieren, den Arbeitsplatz der anderen aufzusuchen oder ihr auf der anderen Straßenseite zu folgen - mit anderen Worten: den Kontakt aufrechtzuerhalten. Doch blieben sie realitätstüchtig, bis die Tante 1944 mit 85 Jahren starb. Florence wurde daraufhin sehr depressiv, meinte, die Leute würden sagen, sie müsse heiraten, und hörte eine männliche Stimme sagen: »Schreckliche Dinge. « In diesem Jahr kam sie ins Hospital.

Die Autoren bemerken: »Diese eineiigen Zwillinge wurden nach völlig verschiedenen Grundsätzen erzogen. Florence hatte ein sicheres Zuhause bei einer liebevollen Tante mütterlicherseits, bei der sie ihr Leben lang wohnte, bis vor einem Jahr (1944), als die Tante mit 85 Jahren starb.« Ich möchte aber darauf hinweisen, dass Florence eine schlechte Schülerin war, Edith eine gute, obgleich doch beide Zwillinge in Bezug auf Intelligenz die gleichen Erbanlagen haben. Florence hat einen Zusammenbruch und wird hospitalisiert; Edith lebt allein und hat Erfolg bei ihrer Arbeit; Florence wird des Diebstahls beschuldigt und Edith nicht. Natürlich haben die Autoren jene Aspekte im Leben der Zwillinge hervorgehoben, die auf eine verschiedene Umwelt hinweisen. Sie nehmen ferner an, dass Florence viel besser daran war, weil sie, oberflächlich gesehen, mehr Vorteile hatte. Ohne Informationen über die altjüngferliche Tante und ohne zu wissen, wie Florence darauf reagierte, diejenige zu sein, die von Zuhause fort musste - auch wenn ihr Vater ein Trinker war -, wäre es allerdings töricht, Werturteile über »gute« und »schlechte« Umweltbedingungen zu fällen. Tatsächlich kann man die Behauptung der Autoren, Florence habe ein sicheres und glückliches Zuhause gehabt, schlecht mit der Tatsache in Einklang bringen, dass sie bei Edith wohnen wollte, dass sie als Hausangestellte nicht bei der Tante lebte und dass sie nach ihrer ersten Erkrankung zu einer anderen Tante ging, um sich zu erholen.

Zusammenfassend können wir folgende Ähnlichkeiten in der Geschichte dieser Zwillinge feststellen. Sie verloren ihre Mutter und praktisch auch ihren Vater (während ihr ältester Bruder von Zuhause fortlief und mit 27 Jahren starb). Beide Schwestern sind unverheiratete Hausangestellte, haben sexuelle Schuldgefühle und werden ganz von sexuellen Phantasien in Anspruch genommen. Beide sind religiös, rivalisieren außerordentlich miteinander und behandeln sich gegenseitig mit Misstrauen, wozu sie offensichtlich allen Grund haben. Ihre paranoiden Symptome entwickelten sie fast unmittelbar nach dem Zusammentreffen, und sie hielten den Kontakt aufrecht, was die Wahnvorstellungen verstärkte. Sie stützten sich gegenseitig so sehr, dass keine von ihnen einen Zusammenbruch hatte, bis Florence unmittelbar nach dem Tod ihrer Tante mit 52 Jahren zusammenbrach. Tatsächlich entspricht die Darstellung von Edith nicht dem Bild einer klassischen Schizophrenie, und man fragt sich, ob sie wohl als solche diagnostiziert worden wäre, wenn ihre Schwester nicht gewesen wäre.

In diesen beiden Fällen ist es interessant, die Ähnlichkeit der Familienstruktur festzustellen. In beiden Familien besteht nicht nur bei den Zwillingen, sondern auch bei der älteren Generation ein starker Drang zur Trennung und gegenseitigen Feindschaft und zugleich zur Aufrechterhaltung des Kontakts. Man kann sehr wohl Überlegungen anstellen über die Rolle, die diese Einstellung dabei gespielt haben mag, die Gefühle der Zwillinge einander gegenüber zu verstärken.

Als Beweis für einen primär genetischen Ursprung der Schizophrenie wären diese beiden Fälle viel überzeugender, würde der eine Zwilling nicht eine so hervorragende Rolle im Wahnsystem des anderen spielen und würden sich die Umweltbedingungen stärker unterscheiden. Einen noch überzeugenderen Beweis hätten wir, wenn es eine Anzahl von getrennt aufgewachsenen Zwillingen mit verschiedenen Schizophrenieformen und nicht bloß den Symptomen der Zwillingspsychose geben würde, die so häufig in der Literatur dargestellt worden ist.

 

Schlussfolgerungen

Dieses Referat hat mehr den Zweck gehabt, Fragen zu stellen, als den, sie zu beantworten. Insbesondere sollte es die Annahme in Frage stellen, die so weite Verbreitung gefunden hat, dass es nämlich eine überwältigende faktische Evidenz für eine stark genetische Komponente in der Ätiologie der Schizophrenie gebe. Wahrscheinlich spielen Erbfaktoren bei wenigstens einigen Schizophrenieformen eine Rolle, doch bleibt immer noch festzustellen, welcher Art und wie wesentlich eine hereditäre »Anfälligkeit« ist und welchen phänotypischen Ausdruck der genotypische Defekt findet. Mir scheint, dass die genetischen Untersuchungen der Geisteskrankheit, sieht man von den gewissenhaften Populationsstudien, die in den skandinavischen Ländern durchgeführt wurden, und einigen Schweizer Arbeiten ab, nicht von der gleichen Qualität sind wie Untersuchungen auf bestimmten anderen Gebieten der Medizin.

Um mit Neel und Schull zu sprechen: »Eine objektive Bewertung des Beitrags, den Zwillingsuntersuchungen bis jetzt zur Erforschung der menschlichen Heredität geleistet haben, ist einigermaßen kompliziert. Dass diese Studien nicht das erbracht haben, was Galton anstrebte, ist gewiss. Zum Teil liegt das daran dass viele solche Studien mit mehr Sturheit als Scharfsinn durchgeführt worden sind.«

Statistische Studien können den Unbedachten mit ihrem »wissenschaftlichen«, »unparteiischen« Aussehen beeindrucken. Man darf dabei nie vergessen, dass sie, wie sehr auch die Zahlen mit blendenden mathematischen Techniken jongliert werden, niemals genauer sein können als die ursprünglichen Beobachtungen, auf denen sie beruhen. Und beeindruckend aussehende Statistiken haben die Angewohnheit, die Untersucher jahrelang heimzusuchen; so stellte einmal J. de Sauvage-Nolting äußerst beeindruckende Zahlen zusammen, um zu zeigen, dass die Mehrzahl der Schizophrenen im Monat März empfangen wurden. Obwohl kein anderer Forscher diese Zahlen auf unabhängiger Basis bestätigt hat, haben viele versucht, sie auf die eine oder andere Weise zu erklären.

Zum Beispiel ist es eine statistische Kuriosität, dass die meisten erblich belasteten Familien die Mehrzahl der Patienten mit »atypischen« oder »schizophrenoformen« Psychosen hervorbringen, bei denen eine relativ günstige Prognose besteht. Genetisch gesehen, steht dieser Befund im Widerspruch zu dem für andere medizinische Störungen. Unter psychologischem Gesichtspunkt allerdings kann man sich leicht eine offen gestörte Familie vorstellen, die es dem Individuum gestattet, ein mehr ins Auge fallender Psychotiker zu werden. Die von Johnson und ihren Mitarbeitern dargestellten Fälle mögen als Beispiele für derartige Situationen dienen. Obwohl die in Zwillingsuntersuchungen zusammengestellten Statistiken eindrucksvoll sind, gibt es, wie wir gesehen haben, Gründe für die Vermutung, dass sie in Bezug auf nicht-genetische Faktoren unzureichend kontrolliert worden sind. Mögliche Ursachen, die in der Umwelt liegen, und insbesondere die psychische Identifizierung sind zugunsten von möglichen genetischen Ursachen ignoriert worden.

Wie sehr die Genetiker allerdings auch die kulturellen Faktoren ignorieren mögen, sie haben mit ihren Zahlen viele Menschen in solchem Maße für sich einnehmen können, dass sie damit für ungerechtfertigte, kühne Erbbegutachtungen gesorgt und in einigen Fällen sogar Sterilisationsgesetze herbeigeführt haben. Erbbiologische Argumente gehen, wie Pastore in seinem lesenswerten Buch The Nature-Nurture Controversy gezeigt hat, leicht Hand in Hand mit soziopolitischen Stimmungen. Auf dem Felde der Psychiatrie möchten wir ebenfalls wünschen, dass die Einstellungen zur Genetik und zur Wirksamkeit der psychologischen Behandlung im umgekehrten Verhältnis stünden und dass die betreffenden Untersucher eine Beziehung zum kulturellen Milieu fänden.

Für meine Begriffe sollte man die Statistiken über Geisteskrankheit brauchbarer machen, indem man die Sammelsurium-Gruppierungen nach Kategorien aufschlüsselt wie Geschlecht des Patienten, Unterschied, falls feststellbar, zwischen Vätern und Müttern hinsichtlich der Häufigkeit von Schizophrenie, Alter des Kindes zur Zeit der Erkrankung eines Elternteils und konstitutionelle Faktoren, die den Patienten beeinflusst haben könnten. Allen beschreibt eine Studie, welche die Wirksamkeit dieser Art von Gliederung deutlich macht. Epileptiker wurden, statt in den üblichen Kategorien von grand mal, petit mal und psychomotorisch gruppiert, hinsichtlich ihrer Familie untersucht, wobei man sechs Gruppen entdeckte, von einer mit stark hereditärer Prädisposition bis zu der, die keine hereditären Elemente aufweist, dafür aber eine große psychologische Komponente. Es mag sein, dass wir uns der Kraepelinschen Klassifikation allzu sehr verpflichtet gefühlt haben, um einen neuen Ansatz ins Auge zu fassen; ich habe jedoch aufzuzeigen versucht, dass die Technik des bloßen Nasenzählens eine vergebliche Liebesmüh ist.

 

Anmerkungen

  1. In demselben Band, in dem der vorliegende Aufsatz erschienen ist: The Etiology of Schizophrenia, ed. by Don D. Jackson, New York 1960 [Anm. d. Übers.].
  2. T. Lidz und S. Fleck, »Schizophrenia, human integration and the role of the family«; M. Bowen, »A family concept of schizophrenia«; J. H. Weakland, »The "Double-Bind" Hypothesis of Schizophrenia and Three-Party Interaction«.
  3. Nach den vorläufigen Zahlen von Dr. Josephine Hilgard über eine Großstudie am Agnew State Hospital kommt Alkoholismus bei den Vätern von indizierten Fällen ebenso häufig vor wie Psychose bei den Müttern. (Persönliche Mitteilung.)

Bibliographie

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