Was Sie über Psychopharmaka, Elektroschock,
Genetik und Biologie bei "Schizophrenie",
"Depression" und "manisch-depressiver
Erkrankung" wissen sollten!
... zophrenie durch Bundesmittel zu unterbinden. Und sie trachtet auch danach, Anwälte der psychologischen Sichtweise zum Schweigen zu bringen. In zwei mir bekannt
gewordenen Fällen wurden Fachleute der oppositionellen Sichtweise belästigt, ihre Arbeitsstellen wurden bedroht, und sie wurden unterbrochen, wenn sie öffentlich sprachen.
Bei dem Versuch, sich selbst von der Verantwortung für das emotionale Leid ihrer Kinder zu entlasten, ist die NAMI durch ihre Unterstützung der grausamsten Technologien
der biologischen Psychiatrie und durch den Versuch, andere Meinungen zu verdrängen, zu einer institutionellen Verkörperung derart von Eltern geworden, die ihre Kinder in
hilflose Verzweiflung treiben können.
Das vergebliche Motiv all dessen ist natürlich: "Es ist nur zu deinem eigenen Besten." Aber, wie Alice Miller in ihrem Buch Das Drama des begabten Kindes (1984)
beschreibt, sind viele verrückte Menschen innerhalb ihrer Familien physisch, sexuell und emotional missbraucht worden. Wie wir später sehen werden, kannte Freud die
Wahrheit, dass die meisten seiner weiblichen Patienten sexuell missbraucht worden waren, aber er wollte sie nicht sehen. In den Kapiteln über Kinder und Frauen werden wir
besonders darauf schauen, wie sich Kindesmissbrauch auf das spätere Leben auswirkt.
Die Familien von verrückten Menschen frustrieren oft den Prozess der Individuation ihrer Kinder. Therapeuten, die mit diesen Familien zu tun haben, spüren das Bedürfnis,
in Teams zusammenzuarbeiten, um ihre eigene emotionale Stabilität zu erhalten. In Schizophrenia and Family (1965) beschreiben Theodore Lidz, Stephen Fleck und Alice
Cornelison, wie diese Familien häufig den therapeutischen Prozess sabotieren, als fürchteten sie das Reifen ihrer Nachkommen und das endgültige
Verlassenwerden.
Eine Serie von britischen Studien aus den 70er Jahren zeigte, dass es eine Korrelation zwischen den Rückfällen sogenannter schizophrener Patienten und den "Expressed
emotions"1 oder EE gab - der Intensität negativer Äußerungen (Kritik, Feindseligkeit) sowie dem Grad der emotionalen Überinvolviertheit seitens
der Eltern. Die Studien stellten fest, dass die Rückfallrate in Familien mit hohen Expressed emotions bei 50 Prozent und in Familien mit niedrigen EE bei nur 15 Prozent
lag. Die Forschung hat gezeigt, dass Schizophrene aus Familien mit hohen EE besser daran tun, wenig Kontakt zu ihren Familien zu unterhalten. Im Gegensatz dazu ging es
Patienten aus Familien mit einer hohen Rate an Äußerungen von Wärme besser. Diese Studien, die Julian Leff in Factors of Schizophrenia [Faktoren der Schizophrenie]
in den Psychiatric Annuals vom Oktober 1989 zusammenfasste, wurden in den USA bei Angehörigen der weißen, schwarzen und hispanischen Kultur wiederholt und bestätigt.
Eine andere Gruppe von Studien, ebenfalls von Leff berichtet, hat gezeigt, dass die Zukunft des Patienten durch eine Familientherapie verbessert werden kann, welche darauf
zielt, eine bessere Kommunikation zu lehren. Dies ist meiner Sichtweise nach ein schlagender Beweis für den familiären Ursprung der sogenannten Schizophrenie.
In dem Buch Stressful Life Events [Stressende Lebensereignisse] (1989) hat der Herausgeber Thomas W. Miller eine Serie von Studien zusammengefasst, die
bestätigen, dass belastende Lebensumstände, wie persönliche oder familiäre Konflikte sowie Streit, sich in schizophrenen Episoden niederschlagen oder zu ihrem erneuten
auftreten führen können. Leff und Christine Vaughn beginnen ihr Kapitel mit Zitaten aus Studien, die zeigen, dass "es nun feststeht dass Lebensereignisse beim
Auftreten von depressiven und schizophrenen Episoden eine Rolle spielen. Es gibt ebenfalls gute Hinweise darauf, dass die emotionale Atmosphäre, die von den
Hauptbezugspersonen des Patienten zu Hause erzeugt wird, einen signifikanten Einfluss auf das Auftreten der Schizophrenie hat."
In dem gleichen Buch diskutieren David Lukoff und seine Koautoren, wie "die Forschung der vergangenen 30 Jahre die verschiedenen sozialen Umweltfaktoren, die sich auf den
Verlauf der Krankheit auswirken, dokumentiert hat". Nicht nur, dass die familiären Gewohnheiten einen Rückfall beeinflussen, Stress im Leben beeinflusst allgemein den
Ausbruch von Schizophrenie. Mit dem Auftreten von schizophrenen Episoden korreliert - in Ergänzung zu EE - noch ein anderer Faktor, genannt AS2 - ein Maß an "direkt zu beobachtenden kritischen, Schuld zuweisenden und einmischenden Äußerungen seitens der Eltern". Ein weiterer Faktor, der bei
der Entwicklung von Schizophrenie eine Rolle spielt, ist der Faktor CD3, der "Unterbrechungen, Sprachanomalien und den Mangel an Klarheit und
Entschlossenheit in den elterlichen Interaktionen umfasst". Lukoffs Überblick kommt zu dem Schluss, dass alle drei Faktoren - EE, AS und CD - innerhalb der Familie
"helfen, das Auftreten von Störungen des schizophrenen Spektrums vorherzusagen".
Ebenfalls in dem Buch Stressful Life Events prüfen Bruce Dohrenwend und Gladys Egri Studien über die Beziehung zwischen belastenden Ereignissen und dem Ausbruch
der Schizophrenie nach und folgern: "Belastende Lebensereignisse, die außerhalb der Kontrolle des Subjektes liegen, spielen bei der Verursachung des Auftretens
schizophrener Episoden eine Rolle."
Während die organisierte Psychiatrie für die Schizophrenie als biologische und genetische Entität Reklame macht, belegt die Forschung ironischer weise in steigendem
Maße den umweltbedingten Ursprung der Schizophrenie. Im nächsten Kapitel werden wir sehen, dass im Vergleich zur Forschung, die umweltbedingte Faktoren bestätigt, so
gut wie keine Forschung existiert, welche biologische und genetische Faktoren bestätigt.
Die Notlage leidenschaftlicher, sensibler Kinder
Meiner Erfahrung nach findet nicht in allen Familien mit Kindern, die sich in spiritueller Verzweiflung befinden, offensichtlicher Missbrauch statt. Fast immer gibt
es da aber eine ernste psychospirituelle Unverträglichkeit zwischen dem etikettierten Patienten und einem oder beiden Elternteilen.
Eltern mit gestörten Kindern machen gewöhnlich die Beobachtung: "Sie war von Anfang an anders als die anderen - zu sensibel. Das war sie, zu sensibel." Ein anderes Gefühl
wird von Eltern häufig geäußert: "Oh, sie war von Beginn an anders. Sie schien uns nicht ...
Seiten 74-75
... 289 Patienten, die durchschnittlich über 36,9 Jahre untersucht wurden. Er fand heraus, dass fast die Hälfte ein "günstiges" Ergebnis hatten - 27 Prozent mit einer
vollständigen Remission und weitere 22 Prozent mit "geringfügigen Residualzuständen". Mehr als unter den Symptomen der Schizophrenie litten die meisten unter der
mangelhaften sozialen Anpassung. Nur 40 Prozent lebten mit ihren Familien zusammen oder in ihrem eigenen Zuhause, während sich die noch verbleibenden in Einrichtungen der
Gemeinde oder in Hospitälern aufhielten.
Sowohl Bleuler als auch Ciompi stellten fest, dass die Behandlung wenig mit dem Ergebnis zu tun hatte: Patienten aus den ersten drei Jahrzehnten des Jahrhunderts
unterschieden sich nicht von den Patienten der 40er und 50er Jahre, der Ära der "modernen" Behandlungen. Ein besseres Ergebnis hatten Patienten, wenn sie vor dem
Ausbruch der psychospirituellen Krise emotional stärker waren und wenn sie einen akuteren, florideren und vorübergehenden Ausbruch hatten. Wurden die Patienten älter,
pflegten sie ruhiger zu werden und Fortschritte zu machen.
Ciompis Bericht stellt ebenfalls fest, dass negative familiäre Haltungen und belastende Lebensereignisse für das Zustandekommen eines dürftigen Ergebnisses von Bedeutung
waren. Er folgerte, dass "das Potential für die Verbesserung der Schizophrenie zweifellos über lange Zeit hin stark unterschätzt worden ist. Im Licht der
Langzeit-Untersuchungen dessen, was man den 'Verlauf der Schizophrenie' nennt, gleicht diese mehr einem Lebensprozess, der für eine Vielzahl von Einflüssen aller Art offen
ist, als einer Krankheit mit einem vorgegebenen Verlauf".
Wie im Juni 1985 in den Science News berichtet, ergab eine Nachuntersuchung von "chronischen" Patienten im Landeskrankenhaus von Vermont bei vielen der Patienten
überraschend gute Ergebnisse nach 30 Jahren. "Viele zeigten leichte oder gar keine schizophrenen Symptome, hatten einen oder mehrere einigermaßen enge Freunde, brauchten
wenig oder keine Hilfe, was grundlegende Bedürfnisse betraf, und führten ein relativ erfülltes Leben." Trotz des durchschnittlichen Alters von 61 Jahren hatten 40 Prozent
von ihnen eine Vollzeitarbeitsstelle.
In einem Übersichtsartikel in der Zeitschrift Hospital and Community Psychiatry vom Mai 1987 bestätigten Joseph Zubin und John Strauss, dass
Langzeitnachuntersuchungen "die Illusion der Kliniker" korrigieren, dass sich der Zustand der meisten sogenannten schizophrenen Patienten verschlechtert. Sie beobachteten:
"Wenn man ein vollständigeres Bild hat, ist die Zahl der Patienten, die sich signifikant bessern oder gesunden, viel größer, als von den meisten Klinikern erwartet." Das
Ergebnis schien meist von sozialen Faktoren wie der Einstellung zur Genesung des Patienten seitens der Familienmitglieder und der Fachleute beeinflusst. Zubin und Strauss
ermutigten dazu, die Grenzen der psychiatrischen Behandlung anzuerkennen, und drängten, die Behandlung müsse "die Hindernisse, die dem natürlichen Selbstheilungsprozess im
Wege stehen, beseitigen". Das erinnert mich wieder an meine Erfahrung mit dem "Met State", wo mir erstmals deutlich wurde, dass die Behandlungen selbst die Patienten
daran hinderten, irgendwelche Fortschritte zu machen.
Jüngste vergleichende interkulturelle Studien der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellten fest, dass ein Verlauf der Schizophrenie mit Genesungsraten von über 50 Prozent eher in Entwicklungsländern anzutreffen
ist als im industrialisierten, urbanen Westen. Psychiatrische Interventionen, die in den moderneren Ländern zur Verfügung stehen, sind ein negativer Faktor, während die
größere soziale Unterstützung, die in den Entwicklungsländern bereitgestellt wird, einen positiven Faktor darstellen. Bei der Überprüfung der Studien kommt der
Psychiater Giovanni de Girolamo zu dem Schluss, dass "die Integration der Patienten in eine natürliche soziale Umgebung und die Begrenzung medizinischer Interventionen auf
das unverzichtbare Maß eine optimale Pflegestrategie schaffen kann".
Die Verantwortung der Psychiatrie für "dürftige Ergebnisse"
Natürlich greift die Psychiatrie mit hohen Dosen schädigender Medikamente und manchmal mit Elektroschock, der bei vielen Patienten über die Jahre eine auffallende
Verschlechterung ihres Zustandes verursacht, stark in die psychospirituelle Krise ein. Die Annahme, dass diese Patienten eine "Geisteskrankheit" haben, hat die
Bereitstellung psychosozialer Unterstützung, wie ein beschütztes ...
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... stenliebe, Empathie, Selbstkritik, Initiative, Autonomie, Rationalität, abstraktes Denken, Urteilsfähigkeit, Zukunftsplanung, Voraussicht, Willenskraft,
Entschlussfähigkeit und Konzentration. Die Stirnlappen unseres Gehirns erlauben uns, "menschlich" in der vollen Bedeutung dieses Wortes zu sein; sie sind erforderlich für
ein zivilisiertes, effektives, reifes Leben.
Die Lobotomie zertrennt die Verbindung zu den Stirnlappen. Abhängig von der dabei angerichteten Zerstörung kann der Effekt partiell oder ziemlich vollständig sein. Im
Extremfall wird der Patient offenkundig dement, das heißt, alle höheren Hirnfunktionen verschlechtern sich. Der Lobotomierer P. McDonald Tow schrieb eine Abhandlung in
Bucheslänge über die Wirkung der Lobotomie mit dem Titel Personality Changes Following Frontal Leukotomy [Persönlichkeitswandel infolge frontaler Leukotomie]
(1955). Darin bemerkt er: "Wahrscheinlich ist es am wahrhaftigsten und genausten, die Summe der Effekte der Lobotomie auf die Gesamtpersönlichkeit so zu beschreiben, dass
die Person danach einfacher ist; und da sie einfacher ist, hat sie weniger Einsicht in ihr eigenes Verhalten." (S. 235). Die geistige Beeinträchtigung, fand er, "ist
größer in den höheren und spezifischer menschlichen Funktionen".
Tow gibt uns einen Einblick in die Gründe, warum in den staatlichen psychiatrischen Institutionen so viele Lobotomien an Dauerpatienten durchgeführt wurden. Lobotomierte
Patienten werden abhängiger und leichter kontrollierbar in einer Institution, in der Strukturen wichtig sind. Ohne Autonomie, Initiative oder Willenskraft "verhalten
(sie) sich in einer strukturierten Situation deutlich besser".
Bei einem Symposium unter dem Titel The Frontal Lobes [Die Stirnlappen] (1948) beschrieb der schwedische Psychochirurg Gosta Rylander dramatisch die Reaktion von
Freunden und Angehörigen lobotomierter Patienten. Eine Mutter sagte: "Sie ist meine Tochter, aber doch eine andere Person. Sie ist körperlich bei mir, aber ihre Seele
ist irgendwie verloren. Die tieferen Gefühle, die Zartheit ist weg. Sie ist irgendwie hart." Ein Freund beschreibt es so: "Ich lebe jetzt mit jemand anderem. Sie ist
irgendwie schal geworden."
Rylanders Anekdoten geben uns Einsicht in einen weiteren Grund, warum lobotomiert wurde. Die Patienten verlieren ihre emotionale Spontaneität und sind weniger
leidenschaftlich. Sie werden seichter und relativ träge oder gedämpft. Diese Stumpfheit macht sie weniger störend für andere und auch dadurch wiederum zu besseren
Psychiatriepatienten.
Die modernere Psychochirurgie greift manchmal in die Gebiete unterhalb der vorderen Stirnlappen ein, in das limbische System, das die Emotionen reguliert. Die Wirkung ist
immer die gleiche: Man produziert einen Menschen, der emotional abgestumpft und abhängiger ist und daher leichter kontrolliert werden kann. 1982 publizierte ein von
Heidi Hensen geleitetes dänisches Team eine detaillierte Studie über die Wirkung moderner Techniken in der Psychochirurgie, bei denen mittels Elektroden ausgewählte
Hirnregionen eingeschmolzen werden. Das kleine Buch mit dem Titel Stereotactic Psychosurgery [Stereotaktische Psychochirurgie] (Hensen 1982) bestätigt, dass eine
Schädigung der Stirnlappen und des umgebenden limbischen Systems durch kleinere Läsionen ebenfalls zu einem Lobotomieeffekt oder Syndrom führt: Die "Emotionalität
verblasst, (... ) der Kontakt mit anderen Menschen wird flacher und das direkte Verhalten mechanischer", und es ergibt sich eine "Schwächung der Initiative und der
Fähigkeit (des Patienten), seine Situation zu strukturieren". Mit einem Wort: Menschen werden roboterhaft, nachdem ihre Stirnlappen und ihr limbisches System
geschädigt wurden.
Die Geburt der chemischen Lobotomie - Berichte der Medikamenten-Pioniere
1952 fiel in Paris der erste Schuss in der "Revolution der Psychiatrie", ausgelöst durch die zwei Pioniere Delay und Deniker. Sie veröffentlichten ihre Entdeckungen über
Chlorpromazin auf Französisch beim Congrès des Medicins Aliénistes et Neurologistes de France [Medizinischer Kongress der Fachärzte für Geisteskrankheiten und
Neurologen in Frankreich]. Hier ist der aller erste Bericht über die Wirkung von Neuroleptika, verabreicht in relativ kleinen Dosierungen: "Ob er sitzt oder liegt, der
Patient ist bewegungslos in seinem Bett, häufig blass und mit gesenkten Augenlidern. Er ist meist still.
Wenn er angesprochen wird, antwortet er langsam und bedächtig mit monotoner und gleichgültiger Stimme; er drückt sich nur mit wenigen Worten aus und schweigt dann wieder."
Man beachte die aufrichtige Beschreibung der Apathie und der Initiativlosigkeit: beides typisch für die Lobotomie.
Der erste Bericht in Nordamerika wurde 1954 in der Zeitschrift der American Medical Association (AMA) [Amerikanische Gesellschaft für Medizin] in den Archives of
Neurology and Psychiatry von dem Kanadier Heinz Lehmann veröffentlicht. Lehmann und ein Koautor beschreiben anschaulich die "emotionale Gleichgültigkeit" und
bezeichnen sie spezifisch als das "Ziel" der Behandlung. Wie Delay und Deniker fanden sie, dass "die Patienten unter der Behandlung einen Mangel spontanen Interesses
an der Umgebung zeigen..."
Anders als die Werbebotschaften der heutigen Zeit behaupten, hatten die Pioniere keinerlei Illusionen darüber, die Schizophrenie des Patienten gezielt zu heilen oder auch
nur zu verbessern. Lehmann und seine Kollegen erklärten: "Wir haben keinen direkten Einfluss des Medikaments auf Wahnsymptome oder halluzinatorische Phänomene
festgestellt." In einem Ergänzungsartikel, ein Jahr später im offiziellen Organ der Canadian Medical Association [Kanadische Gesellschaft für Medizin] veröffentlicht,
erklärte Lehmann, dass sich in manchen Fällen "Chlorpromazin als pharmakologischer Ersatz für die Lobotomie erweisen mag".
Der britische Report von D. Anton-Stephens, der 1954 im Journal of Mental Science herauskam, stimmt mit den anderen überein. Auch Anton-Stephens benutzte
Dosierungen, die nach heutigen Maßstäben klein sind, und stellte fest, dass "psychische Indifferenz die charakteristische Antwort auf Chlorpromazin" ist. Die Patienten
verlieren ihre Symptome nicht, sie verlieren das Interesse daran.
Die ganzen 50er Jahre hindurch berichteten die Fachbücher weiterhin freimütig über die lobotomieähnliche Wirkung von Medikamenten. In der Ausgabe der Modern Clinical
Psychiatry [Moderne klinische Psychiatrie] aus dem Jahre 1958, einem sehr viel gelesenen Buch, fassten die Autoren Arthur Noyes und Lawrence Kolb zusammen: "Wenn der
Patient gut auf das Medikament anspricht, entwickelt er seiner Umgebung und seinen Symptomen gegenüber eine Haltung der Indifferenz." (S. 154).
Ein Segen für die psychiatrischen Institutionen
Vom Gesichtspunkt des Psychiaters aus hatten die Medikamente gegenüber der chirurgischen Lobotomie und dem Elektroschock zwei Vorteile. Bei den Medikamenten konnte man
wenigstens hoffen, dass die schädigenden Auswirkungen nicht dauerhaft blieben. Und die Dosierung konnte "titriert" werden, das heißt, sie konnte erhöht oder gesenkt
werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Als scheinbar humanere Intervention beschwichtigte die medikamentöse Therapie das Gewissen der Psychiater und gab ihnen
eher das Gefühl, richtige Ärzte zu sein. Aber dadurch eröffneten die Neuroleptika den Weg zu einem Missbrauch ohnegleichen auf einer weit massiveren Ebene, der viele
Millionen von Patienten auf der ganzen Welt umfasst. Mit den Worten von Thomas Szasz (1957): "Zwang durch chemische Mittel macht uns nicht schuldig; darin liegt die Gefahr
für den Patienten."
Wie Neuroleptika lobotomieren
Obwohl die Neuroleptika auf die meisten Gehirnfunktionen toxisch wirken, indem sie beinahe alle von ihnen unterbrechen, haben sie eine besonders gut dokumentierte Wirkung
auf das Dopamin-Neurotransmitter System. Wie jedes psychiatrische Fachbuch bestätigen wird, versorgen Dopamin-Neurotransmitter die überaus wichtigen Nervenbahnen vom
Hirnstamm zu den Stirnlappen und zum limbischen System - genau die gleichen Gebiete, die von der chirurgischen Lobotomie betroffen sind. Die Psychochirurgie zertrennt
meist die Nerven-Verbindungen zu und von Stirnlappen und limbischem System; chemische Lobotomie unterbricht zum größten Teil die Nervenverbindungen zu den
gleichen Regionen. Beides ist, wie man es auch wendet, eine Lobotomie-Wirkung.
Folglich ist die Wirkungsweise der Neuroleptika kein Mysterium: Klinisch erzeugen diese Drogen eine Lobotomie und neurologisch erzeugen sie eine
Lobotomie.
Schon in den 60er und 70er Jahren kamen viele Forscher zu der Schlussfolgerung, dass die Medikamente "wirken", indem sie die Hauptnervenbahnen zu den Stirnlappen und das
gefühlsregulierende limbische System ausschalten. In der Literatur gestanden sie es kleinlaut ein - so lautlos, dass man den schrecklichen Begriff chemische
Lobotomie nicht hören konnte.
Der aus dem Jahr 1980 stammende Task Force Report: Tardive Dyskinesia [Projektbericht: Tardive Dyskinesie] der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung (APA)
zeigt zum Beispiel eine Illustration von Dopamin-Bahnen im menschlichen Gehirn. Ausgehend von zwei Hauptstämmen tief im Gehirn breiten sich die Dopamin-Nerven wie die
Zweige eines Baumes aus, und sie reichen bis in das die Gefühle regulierende limbische System und die Stirnlappen. Der Text erklärt, dass dieser Dopamin-Baum von den
Neuroleptika stillgelegt wird. Doch es gibt keinen Hinweis darauf, dass diese Skizze "eine Illustration der von Neuroleptika erzeugten chemischen Lobotomie" genannt werden
könnte.
Während amerikanische Psychiater fortfahren, die offensichtliche Realität der chemischen Lobotomie abzustreiten, stellte ich fest, dass europäische Psychiater sie meist
offen anerkennen, sogar in der Öffentlichkeit und in der Presse. Auf einer im Frühling 1990 in Schweden abgehaltenen Konferenz debattierte ich mit einer Reihe von
Psychiatern. Viele von ihnen gaben zu, dass die neuroleptische Wirkung eine chemische Lobotomie ist. Ihre Argumentation unterschied sich nur dadurch von der meinen, dass
sie ihre Dauerhaftigkeit leugneten (siehe Kapitel 4).
Süchtig nach Lobotomie
Die neuroleptische Behandlung wurde von Peter Sterling in einem Artikel in der Zeitschrift New Republic vom 3. März 1979 mit dem Titel Die Drogenabhängigkeit der
Psychiatrie "Lobotomie" genannt. Sterling war weder Psychiater noch Arzt, sondern ein junger Neuroanatom an der Universität von Pennsylvania, als er schrieb:
"Das Abstumpfen der bewussten Motivation und die Unfähigkeit, Probleme unter dem Einfluss von Chlorpromazin zu lösen, ähnelt vor allem den Wirkungen der vorderen
Lobotomie... Die Forschung legt die Vermutung nahe, dass Lobotomie und chemische Substanzen wie Chlorpromazin ihre Wirkungen auf die gleiche Weise hervorrufen können,
nämlich indem sie die Aktivität des neuro-chemischen Agens Dopamin unterbrechen. Auf jeden Fall dürfte es einem Psychiater schwer fallen, einen lobotomierten Patienten von
einem mit Chlorpromazin behandelten zu unterscheiden."
Das Lobotomieren von Hunden und russischen Dissidenten
Wie die chirurgische Lobotomie kann die chemische Lobotomie keine spezielle nützliche Wirkung auf irgendein menschliches Problem oder menschliches Wesen haben. Sie setzt
eine chemische Zwinge um die höheren Hirnfunktionen des Betroffenen. Eine Folgeerscheinung ist, dass die Drogen dazu benutzt werden können, jeden Mensch oder jedes Tier zu
unterjochen.
In The Tranquillizing of America [Die Ruhigstellung Amerikas] (1979), drückten Richard Hughes und Robert Brewin es folgendermaßen aus: "Wenn sie für eine große Zahl
institutionalisierter Personen benutzt werden - wie es ja geschieht -, können sie helfen, das Haus mit einem minimalen Programm von Aktivitäten und Rehabilitation und
einem Minimum von Pflegern, Helfern, Krankenschwestern und Ärzten zu betreiben" (S. 157).
Auf vielen psychiatrischen Stationen werden an 90-100 Prozent der Patienten Neuroleptika ausgegeben; in vielen Pflegeheimen an 50 Prozent und mehr der alten Leute; in
vielen Institutionen für geistig behinderte Personen an mehr als die Hälfte der Insassen. Neuroleptika werden auch in Einrichtungen für Kinder und in Gefängnissen
benutzt. Es wird schwierig zu argumentieren, sie hätten eine spezifisch antipsychotische Wirkung.
Betrachten wir die Anwendung von Neuroleptika zur Kontrolle von politischen Dissidenten in der Sowjetunion. In Soviet Psychoprisons [Sowjetische Psychogefängnisse]
(1979) deckt der Politikwissenschaftler Harvey Fireside die Gefangennahme und Zwangsmedikation einer russischen Dissidentin und Dichterin mit dem Namen Olga Iofe auf,
einer 19jährigen, so frei von Symptomen, dass ein russischer Psychiater sich gezwungen sah zu bezeugen: "Eine milde Schizophrenie setzt keine Persönlichkeitsveränderung
voraus, die den Leuten in der Umgebung auffallen müsste." (S. 39). Die junge Frau wurde für die Behandlung ausgewählt, nachdem sie gegen das Wiederaufleben des Stalinismus
protestiert hatte: "Die massive Medikation, die ihr zwangsweise gegeben wurde, war nach Dr. Norman Hirts Ansicht 'de facto eine chemische Lobotomie'; den Berichten nach
schien Iofe bei ihrer Entlassung "eine dauerhaft geschädigte, veränderte Person zu sein." (S. 40).
Haloperidol, das am häufigsten angewandte Neuroleptikum in Amerika, war in der Sowjetunion ebenfalls ein Favorit. Der russische Dissident Leonid Plyushch erregte breite
Medienaufmerksamkeit in den USA, als er nach seiner Flucht in den Westen eine Pressekonferenz abhielt. Am 16. Februar 1976 zitierte US. News and WorldReport
die Reaktion Plyushchs, als er in einem russischen Psychogefängnis unter Medikamente gesetzt wurde: "Ich war entsetzt zu sehen, wie ich von Tag zu Tag intellektuell,
moralisch und gefühlsmäßig desorientierter wurde. Mein Interesse an politischen Problemen verschwand schnell, dann mein Interesse an wissenschaftlichen Problemen und dann
mein Interesse an meiner Frau und meinen Kindern."
Plyushchs politische Interessen waren die jüngsten und folglich am schwächsten in seinem Verstand und Gehirn verwurzelten, und so waren sie die ersten, die ihn verließen.
Von Beruf ist er Wissenschaftler, so dass diese mehr eingebetteten Interessen etwas länger vorhielten. Wie bei fast jeder Person ist sein soziales Leben, besonders sein
Familienleben, ein noch integralerer Bestandteil seines Geistes und Gehirns als sein Beruf, und dies hielt am längsten.
Haben die Russen diesen Mann mit hohen Dosen einer besonders tödlichen Droge überschwemmt? Die New York Times vom 14. Februar 1976 liefert detailliertere Auszüge
von Plyushchs Pressekonferenz, bei der er sagte: "Mir wurde Haloperidol [Haldol] in kleinen Dosen verordnet."
Die Neuroleptika werden auch als Beruhigungspfeile zur Bändigung wilder Tiere verwendet und als Spritzen, die den Umgang mit bösartig gewordenen Haustieren erlauben. Der
tierärztliche Gebrauch von Neuroleptika untergräbt so sehr die antipsychotische Theorie, dass dies jungen Psychiatern nicht gelehrt wird.
Das grundlegende Prinzip der psychiatrischen Behandlung
Das Prinzip, Gehirnfunktionen zu beeinträchtigen, trifft auf fast alle der potenteren psychiatrischen Behandlungsmethoden zu: Neuroleptika, Antidepressiva, Lithium,
Elektroschock und Psychochirurgie. Das Prinzip besteht darin, dass alle größeren psychiatrischen Behandlungsmethoden ihre primäre oder bezweckte Wirkung dadurch
erreichen, dass sie normale Gehirnfunktionen behindern. Die neuroleptische Lobotomie ist zum Beispiel kein Nebeneffekt, sondern die gesuchte klinische Wirkung. Sie
spiegelt die Schädigung normaler Gehirnfunktionen.
Umgekehrt korrigiert oder verbessert keine der wichtigsten psychiatrischen Interventionen bestehende Dysfunktionen des Gehirns wie irgendein vermutetes biochemisches
Ungleichgewicht. Sollte der Patient wirklich unter einer Gehirnfunktionsstörung leiden, dann wird das psychiatrische Medikament, der Elektroschock oder die
Psychochirurgie sie verschlechtern oder überdecken.
Wenn relativ niedrige Dosen keine offensichtliche Gehirndysfunktionen erzeugen, hat die Medikation vielleicht keine Wirkung oder sie erzeugt einen Placeboeffekt. Oder, wie
es häufig passiert, dem Patienten ist die Wirkung nicht bewusst, obwohl sie signifikant sein mag. Jeder, dem das Verhalten von Leuten, die Alkohol trinken, vertraut ist,
weiß, wie leicht eine schwach intoxikierte Person abstreitet, dass sie beeinträchtigt ist, oder sogar behauptet, es gehe ihr besser. Die meisten Leute, die aufgehört haben
zu rauchen, werden sich plötzlich des Verlustes der beruhigenden Wirkung bewusst, die vorher als selbstverständlich hingenommen wurde.
Iatrogene (durch die Behandlung verursachte) Hilflosigkeit
Störungen der Gehirnfunktion wie beim chemisch oder chirurgisch herbeigeführten Lobotomiesyndrom machen es den Betroffenen viel schwerer, ihre geistige Verfassung
einzuschätzen oder zu bewerten. Chirurgisch lobotomierte Patienten leugnen häufig beides, ihre Gehirnschädigung und ihre persönlichen Probleme. Sie verkünden laut: "Mir
geht es gut, mir ging's nie besser!", wenn sie nicht mehr richtig denken können. Manchmal streiten sie ab, dass sie operiert wurden, trotz der in ihre Schädeldecke
gebohrten pfenniggroßen Löcher, die in der Kopfhaut fühlbar sind. Oberflächlich sieht das Leugnen so ehrlich aus, dass die Befürworter der Lobotomie sie als Beweis für die
Harmlosigkeit der Behandlung zitieren.
Sogar wenn man keine Gehirnstörung damit erzeugt, verstärken das Verabreichen von Medikamenten oder andere körperliche Interventionen die Rolle des Arztes als einer
Autorität und die des Patienten als einer hilflosen, kranken Person. Der Patient lernt, dass er eine "Krankheit" hat, dass der Arzt eine "Behandlung" vornimmt und dass
der Patient "auf den Doktor hören muss", damit "es ihm wieder besser geht". Die erlernte
Hilflosigkeit und Unterwürfigkeit des Patienten wird dann durch den Gehirnschaden in hohem Maße ausgedehnt. Der Patient wird dem Arzt und den demoralisierenden
Prinzipien der biologischen Psychiatrie gegenüber noch gehorsamer. Das Leugnen kann zu einer durch den Gehirnschaden fixierten Lebensweise werden.
Suggestion und autoritäre Mechanismen sind in der medizinischen Praxis üblich genug, aber nur in der Psychiatrie schädigt der Arzt tatsächlich das Gehirn des
Individuums, um die Kontrolle über ihn oder sie zu erleichtern. Ich bezeichne diese einzigartige Kombination von autoritärer Suggestion und Hirnschaden mit dem Begriff
iatrogene Hilflosigkeit. Iatrogene Hilflosigkeit ist der Schlüssel zum Verständnis dafür, wie die Hauptbehandlungsmethoden der Psychiatrie wirken.
Es gibt wenig oder gar keinen Grund anzunehmen, es gäbe eine körperliche Behandlung in der Psychiatrie, welche schwer gestörte oder erregte Leute unter Kontrolle bringt,
ohne ihnen gleichzeitig ernsten Schaden zuzufügen. Wenn Psychochirurgie, Elektroschock oder die stärkeren Psychopharmaka bis zur Unschädlichkeit verfeinert wären, wären
sie nahezu nutzlos. Gerade die Schädigung ist unglücklicherweise der Trick der Biopsychiatrie.
Die Aufklärung eines verwirrenden Punktes
Ob einige psychiatrische Patienten eine Gehirnkrankheit haben oder nicht, ist für die gehirnzerstörenden Prinzipien der psychiatrischen Behandlung nicht von Bedeutung.
Sogar wenn eines Tages in den Gehirnen von Geisteskranken ein subtiler Defekt gefunden wird, wird dies nicht die zerstörerische Wirkung der jetzt gebräuchlichen
Behandlungen verändern. Noch wird es die Tatsache ändern, dass die gegenwärtigen Behandlungen die Gehirnfunktion eher verschlechtern als verbessern. Ob zum Beispiel die
emotionale Verwirrung eines Patienten durch ein hormonelles Problem verursacht ist, durch eine virusbedingte Entzündung oder durch die Einnahme eines halluzinogenen
Medikaments - die Wirkung der Neuroleptika bleibt immer die einer Lobotomie. Die Person hat jetzt ihre ursprüngliche Hirnschädigung und Funktionsstörung plus einer
chemischen Lobotomie.
Die Behauptung, spezifisch schizophrene Symptome zu heilen
Aber was ist mit den Behauptungen, dass die Behandlung psychiatrische Symptome wie die sogenannten Halluzinationen und Wahnvorstellungen verringerte Gerald Klerman war die
Hauptfigur bei der Wandlung des Images der Neuroleptika von nichtspezifischen, dämpfenden Mitteln in antipsychotische Medikamente. Klerman war von Beginn seiner Karriere
an ein ehrgeiziger Anwalt der biologischen Psychiatrie und wurde später der Direktor des NIMH. Klermans Forschungsergebnisse wurden an verschiedenen Orten publiziert,
unter anderem in dem Kompendium The Clinical Handbook of Psychopharmacology [Klinisches Handbuch der Psychopharmakologie] von Alberto DiMascio und Richard Shader
(1970).
Klerman stellte fest, dass die vier "Symptome", die Neuroleptika am häufigsten verbesserten, in absteigender Ordnung Kampfbereitschaft, Hyperaktivität, Spannung und
Feindseligkeit waren. Kurz gesagt, die Medikamente dämpften und kontrollierten Menschen. Halluzinationen und Wahnvorstellungen - die Kardinalsymptome der Schizophrenie
- rangierten an armseliger fünfter und sechster Stelle.
Da unter Medikation stehende Patienten viel weniger mitteilsam, manchmal geradezu stumm sind, überrascht es nicht, dass sie weniger über ihre Halluzinationen und
Wahnvorstellungen sprechen. Hätten die Forscher aufgepasst, hätten sie bemerken müssen, dass die Patienten ebenfalls weniger über ihre religiösen und politischen
Überzeugungen wie auch über ihr bevorzugtes Hobby oder ihren Sport sagten. Auf den typischen psychiatrischen Stationen gibt es keinen lauten Jubel für die Heimmannschaft.
Die Medikamente verursachen soviel Unbehagen (siehe Kapitel 4), dass die Patienten oft aufhören zu sagen, was sie glauben, damit sie keine höheren Dosierungen bekommen und
um ein schnelles Ende der Behandlung herbeizuführen. Wie viele Expatienten haben mir erzählt: "Ich merkte sofort, dass ich entweder meine Klappe hielt oder mehr von dem
Zeug bekam." Erstaunlich bleibt, dass trotz der Vorurteile der Forscher und der durch die Medikamente erzeugten globalen Hemmung weiterhin Kommunikationen, die man als
Halluzinationen und Wahnvorstellungen bezeichnet, aufgezeichnet wurden.
Klerman behauptete lautstark, seine Forschung hätte eine anti-psychotische Wirkung bestätigt, und nur wenige Leute, wenn überhaupt, bemühten sich darum, seine Daten zu
überprüfen.
Die anders sind als wir
Nachdem ich die lobotomierende Wirkung der Neuroleptika 1989 in einer Debatte mit international bekannten Psychiatern beschrieben hatte, gab ein gegnerischer Arzt zu, dass
er selbst "eine niedrige Dosis eines Neuroleptikums" genommen hätte und dann ein überwältigendes und unerträgliches Gefühl von "Depression" und "Desinteresse" erlebt
hatte. Aber er sagte weiter, seine Patienten würden aufgrund ihrer "abnormen Gehirne" solch einer lobotomierenden Wirkung nicht unterliegen. Anders als normale Menschen
fühlten sich die Patienten vermutlich besser, weil das Medikament ihre biochemischen Abnormitäten "harmonisiere". Dies war nicht das erste Mal, dass ich dieses Argument
von einem Psychiater hörte.
Die von ehemaligen Patienten in der Zuhörerschaft ausgedrückte Wut widerspricht seinen Behauptungen von der Harmlosigkeit der Medikamente. Und das tut auch die in diesem
und dem nächsten Kapitel zitierte klinische Literatur.
Was sagt uns das über Fachleute, wenn sie damit argumentieren, dass sich ihre Patienten so sehr von ihnen selbst unterscheiden? Die biologische Psychiatrie lebt von dem
Prinzip, dass ihre Patienten so verschieden von anderen menschlichen Wesen sind, dass man ihnen nahezu alles antun kann, auch die chirurgische, elektrische und chemische
Lobotomie. Im Gegensatz dazu nimmt die aus ethischen Gründen helfende Person an, dass die Hilfesuchenden die gleiche menschliche Sensibilität wie jeder andere, den
Therapeuten eingeschlossen, besitzen.
Medikamente und Anpassung
Das Leben in einem psychiatrischen Krankenhaus ist so eingeschränkt, begrenzt und unterdrückt, dass die Patienten vielleicht besser angepasst erscheinen, wenn sie
stark unter Medikamenten stehen. Wie bereits in Kapitel 2 angemerkt, beschreibt D. L. Rosenhan in der Ausgabe vom 19. Januar 1973 der Zeitschrift Science, dass auch
die angesehensten psychiatrischen Krankenhäuser demütigende und unterdrückende Orte sind, sogar für normale Freiwillige, die sich als Patienten ausgegeben haben.
Typische Landeskrankenhäuser, wo viele Studien über Medikamente durchgeführt werden, sind einschüchternd und erschreckend gewalttätig. Erving Goffman formuliert, dass
diese "totalen Institutionen" ihre Insassen stigmatisieren und erniedrigen. Seine Analyse in Asyle (1961) hilft uns zu verstehen, warum ein unter Medikamenten
stehender Patient in einer solchen Situation besser angepasst erscheint als eine Person, die frei von Drogen ist. Der chemisch lobotomierte Patient passt besser in die
soziale Rolle eines Psychiatriepatienten mit seiner Gehorsamkeit gegenüber Autoritäten, seinem Mangel an Würde, seiner Akzeptanz des alltäglichen Trotts und seinen
beschränkten Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen. Ähnlich beschreiben fast alle Bücher und Geschichten ehemaliger Patienten die verschiedenartigen psychiatrischen
Einrichtungen als völlig unterdrückend und demoralisierend. Zu sagen, dass sich Patienten in einem psychiatrischen Krankenhaus besser verhalten, wenn sie unter
Medikamenten stehen, ist eher ein Kommentar über die Bedingungen des Patientendaseins als über die angeblich wohltuenden Qualitäten von Medikamenten.
Unglücklicherweise sieht sich der Patient manchmal nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus einer ähnlich erniedrigenden Lebenssituation gegenüber. Alters- und
Pflegehelme sind mindestens so langweilig und erstickend wie Psychiatrien. Oft bieten sie nichts weiter als ein Bett, ein Fernsehgerät und vielleicht eine Bank im
örtlichen Park. Wieder ist es nicht überraschend, dass die Patienten besser an diese Einrichtungen angepasst sind, wenn sie unter Medikamenten stehen. Tatsächlich würden
die meisten Leute ohne Medikation lieber die Flucht ergreifen, als ihre Zeit in einer Einrichtung zu vergeuden, die nichts für ihre Rehabilitation, ihre Erholung oder ihr
soziales Leben bietet.
Doch das Leben ist nicht notwendigerweise weniger verdummend, wenn der Patient zu seiner Familie zurückkehrt. Wie wir in Kapitel 2 sahen, sind Familien von Kindern, die
als schizophren etikettiert sind, im besten Fall nicht in der Lage, eine Beziehung zu ihren überwältigten Sprösslingen herzustellen. Im schlechtesten Fall missbrauchen sie
diese einfach. Typisch ist es, dass Eltern zu sehr in die Schwierigkeiten ihrer Kinder verwickelt sind und ihrem Sohn oder ihrer Tochter gegenüber unerbittlich kritisch
sind. Und wieder ist es keine Überraschung, dass die unter Medikamenten stehenden Kinder besser an das Leben in diesen Familien angepasst zu sein scheinen, während
diejenigen ohne Medikamente weiter aufgebracht und rebellisch und schwer zu kontrollieren sind.
Drogenexperten und psychiatrische Fachbücher, die Neuroleptika bewerben, interessieren sich fast niemals für die Lebensbedingungen, an die anzupassen sie die Patienten
durch die Medikation auffordern oder zwingen.
Wirksamkeitsstudien
Sogar wenn man die eingebauten Vorurteile der Forschungsstudien betrachtet, die Medikamente favorisieren, unterstützen die Daten nicht eindeutig den Gebrauch von
Neuroleptika. Vergleicht man Hospitalisierungen mit und ohne Medikamente, erweisen sich die Daten Oberhaupt nicht als schlüssig. Ein Team, das von Maurice Rappaport
geleitet wurde, berichtete zum Beispiel 1978 in der Zeitschrift International Psychiatry, dass Patienten, die im Krankenhaus mit Placebo und ohne Medikamente
behandelt wurden, in der Nachuntersuchung "im nachhinein eine größere klinische Verbesserung und weniger Pathologie zeigten. Es gab bei ihnen weniger erneute
Krankenhaus-Einweisungen und insgesamt weniger Funktionsstörungen in der Gemeinschaft als bei den anderen untersuchten Patienten-Gruppen." Von der Gruppe, die überhaupt
keine Medikation erhielt, wurden nur acht Prozent rehospitalisiert. Von der Gruppe, die für einige Zeit ihres Krankenhaus Aufenthaltes oder danach Medikamente erhielt,
wurden 47-73 Prozent wieder hospitalisiert. Das schlechteste Bild gaben die Patienten ab, die während und nach dem Anstaltsaufenthalt unter Medikamenten
gestanden hatten. Sie hatten eine Wiederaufnahmerate von 73 Prozent.
Gordon Paul und seine Kollegen untersuchen in der Juli-Ausgabe der Archives of General Psychiatry von 1972 eine medikamentöse Langzeit-Therapie beim "harten Kern
chronisch hospitalisierter Patienten-Gruppen". Diese Patienten wurden außerdem einem aktiven psycho-sozialen Rehabilitationsprogramm auf den Stationen unterzogen. In einer
Gruppe wurde abrupt von der Medikation zu Placebo gewechselt, ohne dass das Personal darüber informiert wurde, dass ein Forschungsprojekt im Gang war. Man stellte fest,
dass in den frühen Stadien der Behandlung die Medikation die Teilnahme am Rehabilitationsprogramm störte und dass sie später dann keine förderliche oder sonstige Wirkung
hatte. Paul und seine Kollegen folgerten, dass die "weit verbreitete Praxis", den hospitalisierten chronischen Patienten Neuroleptika zu geben, nicht fortgeführt werden
sollte, da die Medikation nicht helfe, teuer und gefährlich sei und sich störend auf die Rehabilitation auswirke.
Einige Forscher zeichnen ein rosigeres Bild von der Intervention mit Medikamenten. In der Northwick-Park-Studie, die 1986 von T. J. Crow und seinem Team im British
Journal of Psychiatry veröffentlicht wurde, wurden 30-50 Prozent der Patienten mit medikamentöser Therapie rückfällig und ohne sie 70 Prozent. Selbst wenn wir diese
Resultate akzeptieren, erscheinen sie im Licht der "natürlichen Geschichte" dessen, was man die Schizophrenie nennt (siehe Kapitel 2), nicht so erstaunlich. Wie schon
früher bemerkt, gelingt ungeachtet der Behandlungsform der Hälfte oder mehr der als schizophren diagnostizierten Patienten schließlich eine soziale und ökonomische
Anpassung außerhalb des Krankenhauses, und einem Drittel davon gut. Die Ergebnisse von positiven Medikamentenstudien dürften noch weniger beeindruckend erscheinen, wenn
wir die hohe Rate von medikamentös bedingten, dauerhaften Hirnschäden prüfen, die unter den Langzeitpatienten 50 Prozent übersteigen kann (siehe Kapitel 4).
Weitere Zweifel aufwerfen
Eine im Oktober 1989 im American Journal of Psychiatry veröffentlichte Übersichtsarbeit wirft ernsthafte Fragen über die Validität des Gebrauchs von Neuroleptika
auf, wo er am meisten akzeptiert wird - bei der Kontrolle von akuten psychotischen Episoden. Paul Keck, Ross Baldessarini und ihre Mitarbeiter vom McLean Hospital und der
Harvard Medical School konnten nur fünf Untersuchungen über den Gebrauch von Neuroleptika bei akuter Schizophrenie finden, die wissenschaftlich korrekt Kontrollgruppen
nutzten, bei denen Neuroleptika mit Placebo oder Beruhigungsmitteln verglichen wurden. Diese fünf Studien stellten fest, dass "der gleiche Gesamtgrad an Verbesserung
während der Behandlung mit allen geprüften Wirkstoffen beobachtet wurde". Speziell Valium (leichter ["minor"] Tranquilizer und Beruhigungsmittel) und Opium "zeigten
während des ersten Tages und während vier Wochen der Behandlung eine Wirksamkeit gleich der von Neuroleptika". Mit anderen Worten: Beruhigungs- und Betäubungsmittel
arbeiten genau so gut wie die sogenannten antipsychotischen Medikamente in der akuten Behandlung der Schizophrenie. Die Autoren schlagen folgende Deutung vor:
"Vielleicht sind die frühen Wirkungen der antipsychotischen Medikamente nicht spezifisch und im großen und ganzen die gleichen, wie die der sedativen Wirkstoffe."
Noch entmutigender für die "Anwälte der Neuroleptika" stellten Keck und seine Mitautoren ebenfalls fest, dass in einigen Untersuchungen ein Placebo genau so gut wirkte wie
die Neuroleptika. Sie folgerten, dass die offensichtliche Wirksamkeit der Neuroleptika in der Behandlung von akuten Patienten tatsächlich von anderen Faktoren verursacht
werden kann, wie etwa dem Abstand von einem konfliktbesetzten Leben zu Hause.
Die Autoren merken außerdem an, dass die Wirksamkeit von Medikamenten in der Langzeitbehandlung von chronischen Patienten ebenfalls nicht bestätigt wurde.
Bezeichnenderweise bilden Keck und seine Kollegen ein sehr geachtetes Forschungsteam einer der angesehensten Institutionen in der Psychiatrie, und sie sind bekannte
Verfechter der psychiatrischen Medikation.
Die Leute mit Medikamenten
zum produktiven Leben zurückbringen
Ein fest verwurzelter Mythos ist es, Antipsychotika würden helfen, die Irrenanstalten zu leeren, indem viele Leute zu einem nützlicheren, besseren Leben zurückgeführt
würden. Das Textbook of Psychiatry [Lehrbuch der Psychiatrie] der American Psychiatric Press (1988) erklärt zum Beispiel eindeutig: "Der schnelle Rückgang der
Anzahl von Patienten in den psychiatrischen Krankenhäusern wurde zum überzeugendsten Beispiel dafür, dass die pharmakologischen Therapien in der Psychiatrie nicht nur eine
förderliche Wirkung auf den individuellen Patienten, sondern auch auf die Gesellschaft haben (S. 770). Dem gesamten Prozess wurde die irreführende Bezeichnung
"Entinstitutionalisierung" gegeben.
In Wirklichkeit bewirkten die Medikamente nicht die Leerung der Landeskrankenhäuser, die nicht ernsthaft vor 1963 begann, mehr als acht Jahre nach der Einführung der
Neuroleptika in Amerika. Zu dieser Zeit war die Belegung der Krankenhäuser viele Jahre lang relativ unverändert gewesen - 558000 Insassen als Höchststand im Jahr 1955 und
504000 im Jahr 1963 - und die Aufnahmen waren wirklich raketenartig in die Höhe geschossen. Nach 1963 begann im ganzen Land eine schnelle Abnahme der Patientenpopulation.
In jenem Jahr wurde die "Geisteskrankheit" zum ersten Mal in das Bundesprogramm für Behinderte, denen der höchste Grad der Behinderung zuerkannt wurde, einbezogen. Nun
konnten die Patienten in Altersheime und Wohn- und Pflegeheime geschickt werden, für die mit mageren Behindertenschecks bezahlt wurde. Die einzelnen Staaten hatten die
finanziellen Bürden erfolgreich auf ein Bundesprogramm abgewälzt.
"Entinstitutionalisierung" ist auch deshalb ein irreführender Begriff, weil nur sehr wenige der entlassenen Patienten unabhängig wurden. Die Meisten wurden in andere
überwachte Einrichtungen überwiesen, die gewöhnlich noch weniger anzubieten hatten als die Landeskrankenhäuser, die wenigstens ausgedehntes Gelände und ein paar
organisierte Aktivitäten boten. Einige der Insassen wurden als heimatlose Menschen auf die Straße gesetzt. Zur gleichen Zeit begann die niederträchtige "Drehtürpolitik"
mit kurzen Wiederaufnahmen, um die Patienten erneut unter Medikation zu setzen, bevor man sie zurück in ihre düstere, einsame Umgebung schickte.
Die primäre Funktion der Medikamente in diesem Prozess ist, dass man die unter Drogen stehenden, robotergleichen Patienten leichter von einem Ort an einen anderen schaffen
konnte. Dass die Medikamente keine Entinstitutionalisierung bewirkten, wird durch die Erfahrung in Schweden bestätigt, einem Land, in dem der beschriebene Prozess jetzt
erst beginnt, zwanzig Jahre nach der Einführung dieser Medikamente. Die Leerung der amerikanischen Krankenhäuser war eine Angelegenheit der Sozialpolitik - Patienten
hinaus setzen und weniger aufnehmen -, es war kein medizinisches Wunder.
In die Pflegeheime
Den größten Anteil der Insassen der Landeskrankenhäuser machten die älteren Leute aus, und sie waren die ersten, die während der Entinstitutionalisierung hinausgeworfen
wurden. Eine Untersuchung von 1989 von Jerry Avorn und seinen Kollegen aus Harvard, veröffentlicht im New England Journal of Medicine, untersuchte 55 Altersheime in
Massachusetts. Sie stellten fest, dass 39 Prozent der Insassen Neuroleptika erhielten und 18 Prozent davon zwei oder mehr. Verschiedene andere Untersuchungen bestätigten,
dass den älteren Menschen in den personell unterbesetzten und unterdrückenden Pflegehelmen landauf landab Drogen verabreicht wurden.
Private Alters- und Pflegehelme sind nicht besser. Der Psychiater Theodore van Putten und sein Kollege J. E. Sparr veröffentlichten (1979) in der Juli-Ausgabe der
Zeitschrift Hospital and CommunityPsychiatry einen Artikel mit dein Titel The Board and Care Home: Does it Deserve a Bad Press? [Alters- und
Pflegehelme: Verdienen sie eine schlechte Presse?]. Sie beschrieben Patienten, die von Medikamenten lobotomiert waren und die darunter zu leiden hatten, dass ihre Gefühle
abstumpften, als passiv und initiativlos, mit einem Mangel an Interesse und Spontaneität. Die meisten lebten "im Grunde genommen in Einsamkeit".
Als Obdachlose auf die Straße
Eine ganze Reihe ehemaliger Insassen von amerikanischen Anstalten endeten als Obdachlose. Es waren aber bei weitem weniger, als in anderen Einrichtungen wie Pflegehelmen,
Altersheimen und Gefängnissen institutionalisiert wurden. Obdachlosigkeit ist überdies als Problem direkt ökonomischen Veränderungen zuzuschreiben. In den Haushalten mit
schwachem Einkommen hatte es eine drastische Verschlechterung gegeben, was mit einer zahlenmäßigen Zunahme der sehr Armen verbunden war. Die Entinstitutionalisierung in
Dänemark zum Beispiel führte im Gegensatz dazu nicht zu einer Überhand nehmenden Obdachlosigkeit, weil die Regierung genügend Geldmittel für Behinderte zur Verfügung
stellte und für ausreichend Unterkünfte sorgte, um die ehemaligen Insassen nicht auf die Straße zu setzen.
Dass viele amerikanische Obdachlose schwere psychische Probleme haben, bestätigt bloß, dass unsere hilfloseren Mitbürger am heftigsten und schnellsten unter
wirtschaftlichem Druck wie niedrigen Löhnen und hohen Mieten leiden. Obdachlosigkeit ist für die geistige Stabilität eines Menschen zweifellos nicht gut.
Wir sollten die Forderung der Psychiatrie zurückweisen, die ständig steigende Zahl von Obdachlosen einer erzwungenen Neuroleptika Medikation zu unterwerfen. Wenn wir die
obdachlosen Armen diagnostizieren, ihnen Medikamente verabreichen und sie einsperren, verdeckt die Psychiatrie einen politischen Sachverhalt: die mangelnde Bereitschaft
der Gesellschaft, Arbeitsplätze, Unterkünfte oder ein angemessenes Sicherheitsnetz bereitzustellen. Menschen, die das Opfer sozioökonomischer Bedingungen wurden, werden
zum weiteren Missbrauch der Psychiatrie ausgeliefert. Alle schlafen dann besser - außer den Opfer. ...
Seiten 128-133
Die Verringerung der intellektuellen Fähigkeiten
durch neuroleptische Behandlung
Am Anfang, als ich begann, die umfassende Literatur über tardive Dyskinesien zu überprüfen, vermuteten alle psychiatrischen Fachbücher, dass es sich um eine Krankheit
handelt, welche die muskuläre Kontrolle beeinträchtigt, ohne den Verstand zu gefährden. Intuitiv und aus dem heraus, was ich wissenschaftlich über die Integration von
Gehirn und Verstand wusste, schien es nicht plausibel, dass es möglich sein sollte, das motorische Kontrollsystem zu zerstören, ohne auch den Verstand zu beeinträchtigen.
Meine Forschungen mündeten in mehreren Arbeiten über dauerhafte Geistesstörungen durch Neuroleptika.
Die Ergebnisse in Kürze: Die Basalganglien werden ganz eindeutig beschädigt, wenn eine tardive Dyskinesie durch Neuroleptika produziert wird. Pathologische Befunde bei der
Parkinsonschen Krankheit und der Chorea Huntington zeigen, dass Neuroleptika die Kontrolle und Koordination der Muskeln beeinflussen. Aber die Basalganglien sind auch eng
mit den höheren Gehirnzentren verknüpft, und Krankheiten, die diese Region in Mitleidenschaft ziehen, schädigen letzten Endes den Verstand. Tardive Dyskinesie wird durch
permanente Hyperreaktivität im Dopamin-Neurotransmittersystem dieses Gebietes verursacht. Aber Dopamin ist auch der Hauptneurotransmitter, der in das emotionsregulierende
limbische System und die Frontallappen aufsteigt. Der Lobotomieeffekt ergibt sich aus der Wirkung dieser Medikamente auf die Nervenbahnen. Wenn diese Region ebenfalls
andauernd als Antwort auf die Neuroleptika hyperreaktiv wird - und wie wir wissen, geschieht dies - richtet das unvermeidlich in höheren Hirnregionen und Verstand Schaden
an.
Die klinische Literatur bestätigte meine anfänglichen Vermutungen und meinen Argwohn, dass permanente Schädigungen der höchsten Gehirnzentren unvermeidlich sind. Die
ersten Studien über tardive Dyskinesie zeigten, dass viele und manchmal alle Patienten auch unter schweren geistigen Störungen bis hin zur Demenz litten. Diese
bedrohlichen Entdeckungen waren in den Studien buchstäblich klein gedruckt und tabellarisch dargestellt, und sie wurden selten kommentiert.
Die Verschleierung lebenswichtiger Informationen
über die durch Medikamente verursachte Demenz
Die amerikanische Bundesregierung sponserte eine mit großem Aufwand publizierte bundesweite Studie über die Wirkungen der Einnahme illegaler Drogen wie Narkotika und
Halluzinogene auf das Gehirn. Eine zufällige Entdeckung wurde in der Kontrollgruppe von Psychiatriepatienten gemacht: Der Konsum von Neuroleptika war direkt mit einem
andauernden Verlust in allen Bereichen geistiger Funktionen verbunden.
Wenn es die Droge Marihuana oder auch nur Nikotin oder Alkohol gewesen waren, wären die Ergebnisse dieser unanfechtbaren Studie von den Medien sofort als Blitzmeldung quer
durch die Nation getragen worden. Nicht so, wenn die Gehirne von Psychiatriepatienten gegen die Reputation von Psychiatern aufgewogen werden. Die Reputation erringt fast
immer den Sieg.
Eine vollständige, aber unveröffentlichte Version des Manuskriptes wurde auf Fachkonferenzen vorgestellt. Es war von Igor Grant, Kenneth Adams, Albert Carlin, Phinip
Rennick, Lewis Judd und anderen verfasst. Der Erstautor Grant war Assistenzprofessor und Judd war Professor und Direktor der psychiatrischen Abteilung der Universität von
Kalifornien in San Diego. Bis vor kurzem war Judd der Direktor des NIMH, das er in Richtung eines ausschließlich biopsychiatrischen Institutes gedrängt hatte.
Es war mir möglich, die unveröffentlichte Version, die 1978 der International Neuropsychological Association in Minneapolis vorgestellt wurde, zu bekommen. Die
unveröffentlichte Version berichtet, dass bei mehr als 25 Prozent der mit Neuroleptika behandelten Patienten geistige Beeinträchtigungen festzustellen waren. Dabei wurden
die neuro-psychologischen Halstead-Reitan-Testverfahren benutzt, die von vielen als bester verfügbarer Test zur Ermittlung von geistigen Störungen, die durch Gehirnschäden
ausgelöst sind, betrachtet werden. Es wurde eine statistische Korrelation zwischen den im Laufe des Lebens eingenommenen Neuroleptika und anhaltenden geistigen
Funktionsstörungen festgestellt. Keiner der Patienten hatte über mehr als fünf Jahre psychiatrische Medikamente bekommen.
In der unveröffentlichten Fassung erklären die Autoren: "Wir waren betroffen, dass das Defizit häufig bei Psychiatriepatienten auftrat" und "dass dieses Defizit mit der
Menge der verwendeten antipsychotischen Medikamente korrelierte". Der letzte Satz warnte: "Es ist ebenfalls klar, dass die antipsychotischen Medikamente auf die
Möglichkeit überprüft werden müssen, dass ihr ausgedehnter Konsum allgemeine zerebrale Störungen verursachen könnte."
Gerald H. Dubin, zu jener Zeit Forschungspsychiater am National Institute on Drug Abuse, war einer der Projektverantwortlichen in der Grant-Studie. In einem Interview mit
mir am 26. Februar 1991 bestätigte Dubin die Wichtigkeit der Befunde, dass Neuroleptika neuro-psychologische Schädigungen bleibender Art "verursachen könnten". Er sagte,
die Untersuchungen zeigten die Notwendigkeit "ausgedehnter Forschung" auf diesem Gebiet durch einzelne und Organisationen an, die nicht "eigene Interessen" an Medikamenten
haben.
Was passierte mit der veröffentlichten
Fassung dieser Studie?
Im Februar 1978, im gleichen Jahr, als die unveröffentlichte Fassung in der Konferenz in Minneapolis vorgestellt wurde, tauchte eine etwas andere Fassung im American
Journal of Psychiatry auf, der offiziellen Zeitschrift der American Psychiatric Association. Sie enthielt das gleiche Material mit Ausnahme der ganz wichtigen
Korrelation zwischen den Neuroleptika und der chronischen Hirnstörung. Dies wird in der statistischen Analyse begraben, ohne eine einzige Erwähnung in Zusammenfassung,
Einführung, Diskussion oder Schlussfolgerung des Artikels. Nur wer den Artikel mit einem geistigen Vergrößerungsglas, fokussiert auf die statistische Analyse, liest, würde
etwas finden.
Schlimmer noch: Die statistischen Daten im Diskussionsabschnitt des Artikels zeigen eine Korrelation zwischen Schizophrenie und Gehirnstörung, die es so erscheinen
lässt, als verursache Schizophrenie das Problem. Erschütternd ist, dass die weitere Korrelation mit der totalen lebenslänglichen Einnahme von Neuroleptika nicht
erwähnt wird. Außerdem gibt es im Diskussionsabschnitt des veröffentlichten Schriftstücks keinerlei Hinweis darauf, dass die Störung des Gehirns ursprünglich mit der
Einnahme von Neuroleptika korrelierte.
Die Studie führte zu einem anderen wichtigen Zeitschriftenartikel von den gleichen Erstautoren Grant, Adams und Judd im September 1978 in den Archives of General
Psychiatry. Diese Fassung erwähnt die Korrelation zwischen der Einnahme psychiatrischer Medikamente und Geistesstörungen, aber ohne zu betonen, dass diese Störungen
bleibend sind, und ohne die Warnungen, die in dem originalen, unveröffentlichten Schriftstück abgegeben werden.
1986 veröffentlichten Grant und Adams das Buch Neuropsychological Assessment of Neuropsychiatric Disorders [Die neuropsychologische Beurteilung neuropsychiatrischer
Störungen]. Obwohl sie kurz ihre ursprünglichen Befunde erwähnen, verwerfen sie diese unglücklicher Weise schnell mit einem Satz: "Grant und seine Mitarbeiter stellten
eine Beziehung zwischen dem gesteigerten Konsum von Antipsychotika und der Schädigung in einer kleineren Gruppe junger Schizophrener fest. Es war nicht klar, ob die
Medikamente verursachend waren oder bloß eine hartnäckige Form von Schizophrenie widerspiegelten, die durch ein bereits vorher vorhandenes Defizit charakterisiert war."
(S. 155). Tatsächlich gab es keinen Beweis dafür, dass ihre Patienten dauerhaft oder ernsthaft behindert gewesen waren. Ihr unveröffentlichter Artikel argumentierte
gegen die Schizophrenie als eine Ursache, zum Teil weil die Patienten nicht "chronisch" waren, und er betonte die Korrelation zwischen der Hirndysfunktion und der
Einnahme von Neuroleptika.
Ein früheres Buch von Grant als Alleinautor, Behavior Disorders: Understanding Clinical Psychopathology [Verhaltensstörungen: Die klinische Psychopathologie
verstehen] (1979), zeigt dramatisch seine Vorurteile gegenüber seinen eigenen Befunden. Grant versäumt es sogar, seine eigenen Forschungen über Hirnfunktionsstörungen, die
durch Medikamente verursacht sind, auch nur zu erwähnen oder zu zitieren. Statt dessen erklärt er, dass "die antipsychotischen Medikamente einen wahren
Meilenstein in der menschlichen Behandlung der Schizophrenen darstellen" (S. 97). Der tardiven Dyskinesie wird nur ein Abschnitt gewidmet, und sie wird - völlig
unverständlich - "selten" genannt (S. 105). Damit übergeht Grant nicht nur seine eigene Arbeit über irreversible Geistesstörungen, er leugnet auch die seuchenartige
Ausbreitung tardiver Dyskinesie.
Wachsende Bestätigung und fortgesetzte Vertuschung
Seither sind Dutzende von Studien erschienen, die zeigen, dass Patienten, die mit Neuroleptika behandelt wurden, solch schwere Gehirnschäden haben, dass sie als
Gehirnschrumpfung mit den neueren radiologischen Techniken wie der Computertomographie, der computerisierten Analyse von Röntgenaufnahmen des Gehirns in verschiedenen
Ebenen, aufgespürt werden können. Oft ist die Schrumpfung verknüpft mit dem Grad des geistigen Verfalls. In meinem Übersichtsartikel aus dem Jahre 1990 im Journal
of Mind and Behavior sind Dutzende von Zitaten angeführt; auf ihnen basiert die folgende Analyse.
Viele - aber nicht alle - meiner psychiatrischen Kollegen sehen diese Befunde als den lang gesuchten Beweis, dass Schizophrenie eine Gehirnkrankheit ist. Aber die
Schrumpfung des Gehirns kann nicht durch die Schizophrenie verursacht werden. Jahrhunderte lang wurde die Schizophrenie eine "funktionelle Störung" genannt, genau
deswegen, weil sie typischer weise ohne irgendwelche Anzeichen einer organischen Gehirnkrankheit auftritt. Die jüngste Entdeckung, dass diese Individuen eine schwere
organische Gehirnkrankheit haben, steht in krassem Gegensatz zu dieser lang bestehenden klinischen Erfahrung. Autopsien in der Zeit vor den Psychopharmaka bestätigen
dieses klinische Wissen; sie konnten keine einheitlichen schweren Pathologien in den Gehirnen von Schizophrenen finden. Außerdem haben wir Studien über Autopsien an
Tieren, die bestätigen, dass die Neuroleptika tatsächlich das Gehirn schädigen, sogar bei kleinen, kurzzeitig gegebenen Dosen. Und schließlich haben wir Studien von
zusätzlichen Gruppen, wie beispielsweise erwachsenen Patienten mit anderen Diagnosen und geistig retardierten Kindern, deren geistige Fähigkeiten sich unter den gleichen
Medikamenten verschlechtern.
In seiner Kritik der sprießenden Studien über Gehirnschrumpfung bei schizophrenen Patienten erklärte der Psychiater Theodore Lidz 1981 in einem Brief an das American
Journal of Psychiatry: "Seit Hunderten von Jahren haben Forscher von einer neuropathologischen oder physio-pathologischen Ursache der Schizophrenie berichtet. Das
Problem ist, dass sich keine derartige Entdeckung replizieren ließ. Wenn der Patient unter Demenz leidet, ist die Diagnose nicht Schizophrenie." (S. 854). Lidz verband
dann weiter die Computertomographie-Untersuchungen mit früheren, gleichermaßen leidenschaftlichen Versuchen, eine physische Grundlage für Schizophrenie zu finden, von
denen viele von genau den gleichen Forschern durchgeführt worden waren. Lidz schlug vor, man solle die Wirkung von Schockbehandlung und Medikamenten auf das Gehirn in die
Überlegungen einbeziehen.
Im nächsten Kapitel werden wir zwingende Beweise von Zwillingsstudien über die schädigende Wirkung von Neuroleptika auf das Gehirn überprüfen.
Die verschiedenen Computertomographie-Studien des Gehirns über Schädigungen und Störungen lassen vermuten, dass zwischen 10 und 40 Prozent der mit Neuroleptika behandelten
Patienten betroffen sind. Das Alter des Patienten und die Menge der insgesamt eingenommenen Medikation beeinflussen wahrscheinlich die Rate. Die Raten sind bedeutsam, aber
etwas niedriger als jene der tardiven Dyskinesie. Wenn man beide Gefahren für das Gehirn betrachtet, wird klar, dass alle oder fast alle Patienten, die mit Neuroleptika
Langzeit behandelt wurden, an irgendeiner Art dauerhaften Gehirnschadens und Funktionsstörung leiden werden.
Die neueste Wunderdroge
Von einer neueren Droge, Clozapin (Handelsname Leponex) wird gesagt, sie habe die neuroleptische Wirkung ohne derart viele neurologische Nebenwirkungen. Sie scheint nicht
die Dopamin Neurotransmission in den die Motorik regulierenden Gebieten des Gehirns zu unterdrücken, was das Risiko einer tardiven Dyskinesie reduziert. Das bedeutet
nicht, dass es keine tardive Demenz, keine tardive Psychose oder andere Störungen des zentralen Nervensystems verursacht, wenn es die Neurotransmission in den höheren
Gehirnzentren hemmt. Wenn Langzeitstudien zeigen, dass das Medikament keine tardive Dyskinesie verursacht, werden die Psychiater eingelullt und in dem Glauben gewiegt, das
Präparat sei relativ harmlos für das Gehirn. Sie werden noch eher dazu neigen, die ...
Seiten 150-155
... mehr oder weniger getrennt von ihren Eltern aufgezogen wurden.
In einer dänisch-amerikanischen Studie, die vom NIMH gesponsert wurde, wurden adoptierte dänische Kinder ausfindig gemacht, die eine Schizophrenie entwickelt hatten. Dann
wurden ihre biologischen Eltern ermittelt und untersucht, um zu sehen, ob auch sie schizophrene Familienmitglieder hatten. War dem so, war die Annahme begründet, dass ein
genetischer Faktor am Werk war, weil das adoptierte Kind in einer vermutlich "normalen" Umgebung getrennt von seinen Eltern aufgewachsen war.
Diese Studien sind die bei weitem am häufigsten zitierten, wenn es um die Unterstützung der genetischen Theorie der Schizophrenie geht, und die Forscher hatten die
bestmöglichen Empfehlungen. Seymour Kety war Professor für Psychiatrie in Harvard, und der Psychologe David Rosenthal und der Psychiater Paul Wender waren am National
Institute of Mental Health (NIMH). Fini Schulsinger war Chefpsychiater in Kopenhagen.
Als ich in dem Buch Genetic Research in Psychiatry [Genetische Forschung in der Psychiatrie], den ursprünglichen zusammenfassenden Bericht der dänischen
Untersuchung von Kety und seinen Kollegen aus dem Jahr 1975 ausfindig machte, war ich über das, was ich fand, schockiert: Es gab keine Häufung sogenannter Schizophrenie
unter den engen biologischen Verwandten wie den Müttern, Vätern, Vollbrüdern und Vollschwestern. Damit tendierten die Studien tatsächlich dahin, den genetischen Ursprung
der mutmaßlichen Krankheit zu widerlegen.
Welche Daten benutzten sie also, um eine genetische Tendenz zu beweisen? Sie machten eine sehr merkwürdige Entdeckung: Unter den Halbbrüdern und Halbschwestern
väterlicherseits gab es eine erhöhte "Schizophrenie"-Rate. Mit anderen Worten, wir haben ein Wundergen, das die biologischen Mütter, Väter, Brüder und Schwestern
überspringt - und sogar die biologischen Halbbrüder und Halbschwestern mütterlicherseits - und nur die Halbgeschwister väterlicherseits trifft.
Offensichtlich ist diese Entdeckung so lächerlich, so klar ein Irrtum oder ein Zufallsergebnis, dass Kety, Rosenthal,Wender und die anderen Forscher sich sträuben, ihren
Kollegen die gesamten Daten zu präsentieren. Deswegen bleibt die tatsächliche Natur der angeblichen genetischen Tendenz in ihren Übersichtsartikeln unerwähnt und erfordert
tiefes Graben in den Originaldaten selbst.
Außerdem betraf die NIMH-Studie nur so wenige Familien, dass diese spezielle Entdeckung der erhöhten Diagnosen von Schizophrenie unter den Halbgeschwistern
väterlicherseits von einer einzigen großen Familie mit sechs Kindern abhängt, die angeblich unter schizophrenieähnlichen Störungen litten. Man muss sich fragen, ob es da
Inzest oder irgendeinen anderen Missbrauch auf der väterlichen Seite dieser Familie gab.
Im April 1990 hatte ich die Gelegenheit, mit einem der Autoren der Studie, Fini Schulsinger, in einem öffentlichen Forum der Universität von Kopenhagen zu debattieren. Ich
wiederholte den Punkt des unerklärlichen Übergewichts einer Gruppe von entfernten Verwandten, bestehend aus Halbbrüdern und Halbschwestern väterlicherseits, in seiner
Studie. Produzierte er ein paar Statistiken, um mir zu beweisen, dass ich falsch lag? Im Gegenteil: Er gestand den Schwachpunkt ein. Somit ruht die ganze Genetik der
Schizophrenie auf diesem Kartenhaus. Was für ein Hokuspokus!
Dies ist nur einer der Risse in dieser Studie, aber ich denke, die Sache ist deutlich genug.
Wie die Autoren von Not in Our Genes beobachteten, sind die Schwächen der dänischen Studie so offensichtlich, dass es schwer zu verstehen ist, wie "berühmte
Wissenschaftler" die Ergebnisse als valide unterstützen konnten. In der Ausgabe der Psychiatric News vom 16. März 1990 erinnerte der Yale-Psychiater Theodore Lidz
die Leser an seine eigene frühere Kritik: "Unsere veröffentlichte Nachuntersuchung der dänisch-amerikanischen Adoptions-Studie zeigt, dass die Forscher die
Interpretationen ihrer Daten unhaltbar verdreht haben, um ihre Hypothesen zu unterstützen."
Es gibt in den am stärksten propagierten Studien einfach keinerlei Beweis für einen genetischen Faktor für Schizophrenie. Statt dessen läuft ihr Scheitern, irgendeinen
genetischen Einfluss zu entdecken, auf die Bestätigung eines umweltbedingten Ursprungs des schizophrenen Überwältigtseins hinaus. Es wirft ein schlechtes Licht auf die
Psychiatrie, dass diese Studien dazu benutzt worden sind, das Gegenteil von dem zu beweisen, was sie wirklich zeigen, und dass man die Öffentlichkeit bewusst der
Propaganda durch irreführende Information ausgesetzt hat.
Eine neuere Studie des finnischen Psychiaters Pekka Tienari und seiner Mitarbeiter sowie des Amerikaners Lyman Wynne wurde 1987 im Schizophrenia Bulletin (Band 13,
Nr. 3) veröffentlicht. Wie die dänische Studie untersucht sie Kinder, die schizophren wurden, nachdem sie von ihren Ursprungsfamilien weg adoptiert wurden. Tienari fand
einiges Beweismaterial für einen genetischen Einfluss, aber im Kleingedruckten ist die Tatsache versteckt, dass die Kinder teilweise bis zum Alter von vier Jahren und elf
Monaten mit ihren biologischen Eltern zusammengelebt hatten. Welchen scheinbar genetischen Einfluss Tienari auch immer gefunden haben mag, die Schizophrenie kann leicht
einem frühen umweltbedingten Einfluss der biologischen Eltern zugeschrieben werden.
Eine weit beeindruckendere Entdeckung erbrachte Tienaris sorgfältige psychologische Untersuchung der Adoptiveltern. In jedem Fall, in dem ein Kind als schizophren
diagnostiziert wurde, gab es eine als schwer diagnostizierte geistige Störung bei einem der Adoptivelternteile. Tienari stellt klipp und klar fest: "Es gab kein
psychotisches Kind oder Borderline-Kind, das in einer gesunden oder schwach gestörten Familie aufgewachsen wäre." Er folgert, dass die Umgebung eine Rolle in der
Entwicklung von Schizophrenie spielen muss.
Wenn es hier irgendein Muster gibt, dann besteht es in dem Umstand, dass die genetische Hypothese unbewiesen bleibt, während die Hypothese der umweltbedingten Einflüsse
wiederholt bestätigt wurde - sogar von den Untersuchungen, die darauf zielten, eine genetische Komponente zu beweisen.
Der schwindende Beweis
Auf Grund des Einflusses der Psychiatrie in den Medien denken die meisten Leute, es gäbe immer mehr Studien, die den genetischen Ursprung psychiatrischer Störungen wie der
sogenannten Schizophrenie unterstützen.
In Wirklichkeit ist die Literatur, die eine genetische Ursache der "Schizophrenie" unterstützt, im Laufe der Jahre spärlicher geworden. Es gibt immer weniger
Untersuchungen, in denen behauptet wird, es gäbe eine genetische Basis. Alte Studien wurden hundertfach in Misskredit gebracht, während neue wirklich selten sind.
Wenn überhaupt, schien der Beweis in den 30er und 40er Jahren viel überzeugender, als die Genforscher Hitlers eugenische Gesetzgebung und die Zwangssterilisierung
Zehntausender von Menschen in den USA und dann in Deutschland inspirierten. Zu dieser Zeit wurden typischer weise Dutzende von Studien in Fachartikeln zitiert, die auf die
Genetik verwiesen. Wenn es seitdem eine wissenschaftliche Revolution in der genetischen Psychiatrie gegeben hat, dann in der entgegengesetzten Richtung - in Richtung
der Diskreditierung der alten Untersuchungen und der Skepsis den wenigen neuen gegenüber. Aber das ist nicht das, was der Öffentlichkeit mitgeteilt wird.
"Besonderes Gen für Schizophrenie gefunden!"
Kürzlich wurde eine weitere Art von genetischer Studie in die Öffentlichkeit getragen - darin wurde behauptet, man habe besondere Gene für besondere psychiatrische
Probleme wie Schizophrenie, Depression und Alkoholismus lokalisiert.
In der britischen Zeitschrift Nature berichtete im November 1988 ein Team, geleitet von Robin Sherrington vom Molecular Psychiatry Laboratory der Universität von
London, ein Gen für Schizophrenie auf "dem langen Arm des menschlichen Chromosoms 5" in sieben Familien aus England und Island gefunden zu haben. Das genaue Gen konnte
nicht identifiziert werden, aber es wurde als dominant angesehen. Diejenigen, die es trugen, würden vermutlich schizophren werden oder hätten eine damit verwandte Störung.
"Dieser Bericht", so behaupten die Autoren, "liefert den ersten schlagkräftigen Beweis für das Beteiligtsein eines einzelnen Gens bei der Ursache der Schizophrenie."
Ein Leitartikel in derselben Ausgabe von Nature verkündete einen Durchbruch in der Psychiatrie: "Neue Forschungen haben gezeigt, dass manche Schizophrenieform
teilweise genetisch bestimmt ist." Der gewählte Präsident der American Psychiatric Association, Herb Pardes, stürzte sich auf die Gelegenheit, Reklame zu machen, und
verkündete, die Studie sei ein "ungeheurer Fortschritt". Die Zeitungen in aller Welt übernahmen die Geschichte ohne einen Hauch von Skepsis.
Abgesehen von der Gefahr, zu viel aus einer einzelnen Studie zu machen, gab es in dieser einen logischen Irrtum, der sie von Beginn an höchst fragwürdig erscheinen ließ.
Wenn Wissenschaftler es geschafft hatten, ein einzelnes dominantes Gen für eine körperliche Krankheit, wie beispielsweise Chorea Huntington, zu finden, machte ihre
Entdeckung Sinn, weil von dieser Krankheit schon allein durch das Studium der medizinischen Familienstammbäume der Patienten bekannt war, dass sie von einem dominanten Gen
übertragen wird. Wenn zum Beispiel ein Elternteil an Chorea Huntington leidet, ist das Risiko für jedes der Kinder genau 50:50, dass es die Krankheit ebenfalls bekommen
wird. Aber dies ist bei der sogenannten Schizophrenie nicht der Fall. Jede Familienstudie - auch diejenigen, die wir uns angeschaut haben - zeigt, dass kein einzelnes
dominantes Gen für Menschen existiert, die als schizophren diagnostiziert wurden. Dies ist seit Jahrzehnten bekannt. So hätte jeder, der mit dem Feld vertraut ist, die
Entdeckung eines dominanten Gens verwerfen können, auch ohne sich die Untersuchung nur anzuschauen. Doch die Untersuchung wurde von der Psychiatrie als starke Bestätigung
der genetischen Grundlage verkündet.
Eine konkrete Prüfung der Studie offenbart noch mehr Absurditäten. Sie umfasst 104 Individuen aus sieben Familien. In den Familienstammbäumen, welche die Studie
nachbildet, finden wir folgende Beispiele einer außerordentlichen Prävalenz von Schizophrenie und anderen Störungen in diesen Familien: Bei einem Elternpaar hatten fünf
von sieben Kindern psychiatrische Störungen, bei drei davon wurde gesagt, sie seien schizophren oder anders psychotisch; bei anderen hatten sieben von zehn Kindern
psychiatrische Störungen. Die allgemeine Rate für Kinder, die in einer Familie mit einem schizophrenen Elternteil als schizophren diagnostiziert werden, schätzt man auf
weniger als 10 Prozent. Die untersuchten Familien könnten also darin wetteifern, im Guiness-Buch der Rekorde als verrückteste Familie aufgenommen zu werden.
Was kann man von einer solchen Gruppe von Familien hinsichtlich der Schizophrenie lernen? Wahrscheinlich nichts. Es wäre weit interessanter, die Muster für
Kindesmissbrauch und Vernachlässigung herauszufinden, die erforderlich sind, um solch ein wucherndes Elend zu erzeugen.
Merkwürdigerweise enthält die gleiche Ausgabe von Nature eine Studie, in der James Kennedy und seine Kollegen, wie der Titel schon sagt, "Beweise gegen die
Verbindung zwischen Schizophrenie und Markern auf Chromosom 5 bei einem nordschwedischen Stammbaum" finden. Die schwedische Studie widerlegt spezifisch und genau die
englische Studie.
Inzwischen ist die englische Studie den Weg aller solcher Studien gegangen - verloren im Treibsand der Wissenschaft. Die Öffentlichkeit hat jedoch niemals von den
Widerlegungen gehört.
Trotz der einseitig gesinnten Reklame für genetische Erklärungen sowohl in der psychiatrischen als auch in der allgemeinen Presse taucht gelegentlich eine realistischere
Einschätzung auf. In der Ausgabe der Psychiatric Times vom März 1987 war ein Artikel mit der Schlagzeile überschrieben: "Zuversicht bei der Suche nach einem
genetischen Ursprung von Geisteskrankheit schwindet". Der Artikel erklärt: "Der Grund: Forscher finden es schwierig oder unmöglich, frühere Ergebnisse zu replizieren, die
behaupten, verschiedene psychiatrische Krankheiten konnten zu bestimmten Chromosomlokalisationen zurückverfolgt werden." Der Genetik-Advokat Elliot Gershon vom NIMH wird
mit dem Eingeständnis zitiert: "Das Hauptproblem sind all die Nicht-Replikationen."4 Der Artikel schließt: "Aber bislang sind die Belege so
vieldeutig, dass einige kompetente Beobachter bestreiten, es gäbe irgendeinen überzeugenden Beweis für die genetische Basis irgendeiner größeren psychiatrischen
Krankheit."
Vorurteile von Forschern - oder schlimmer?
Stellen Sie sich vor, ein Team moderner biopsychiatrischer Forscher veröffentlicht schließlich eine genetische Studie, in der die Daten, ...
Seiten 160-161
... leichterung für alle Beteiligten bringen würde". Der Artikel schließt mit der Darstellung von Psychiatern als denjenigen, die den Eltern helfen, ihre "unglücklichen
zwanghaften Pflicht- oder Schuldgefühle" wegen der Tötung ihrer Kinder, zu überwinden.
Rüdin und Kallmann heute
Rüdin und Kallmann bildeten die internationale Speerspitze der psychiatrischen Genetik vor dem zweiten Weltkrieg, und Kallmann behielt auch noch lange danach seinen
Einfluss. Welchen Stellenwert hat ihre Arbeit heute? Wenn Sie zum Beispiel die Übersichtsartikel in Biological Psychiatry [Biologische Psychiatrie] (1986), die ich
erwähnt habe, nachprüfen, werden Sie weder Rüdin noch Kallmann unter den 349 Verweisen aufgelistet finden. Aber biologische Psychiater werden neuerdings immer
unverfrorener. Kallmann und sogar der Nazi Rüdin werden inzwischen wieder als legitime Wissenschaftler zitiert, wie beispielsweise im Textbook of Psychiatry
[Lehrbuch der Psychiatrie] der American Psychiatric Press aus dem Jahre 1988.
Die Genain-Vierlinge:
eine Studie über Kindesmissbrauch
Moderne biologische Psychiater sind meist zu jung, um mit den Ereignissen in Nazi-Deutschland identifiziert zu werden. Wir müssen auf andere Kontexte schauen, um die Art
und Intensität ihrer Vorurteile zu verstehen. In jüngster Zeit gehörten Paul Wender und David Rosenthal zu den einflussreichsten Genetikern. Sie sind Mitautoren der schon
früher erwähnten dänischen Studie. Wenders Ideologie, besonders seine radikal biologische Voreingenommenheit, wird später an seinem Einfluss auf die
Kinderpsychiatrie offensichtlich.
Der NIMH-Psychologe David Rosenthal ist der Herausgeber eines Buches mit dem Titel The Genain Quadruplets: A Study in Heredity and Environment in Schizophrenia [Die
Genain-Vierlinge: Eine Studie über Erblichkeit und Umwelt bei Schizophrenie] (1963). Das Buch prüft in Einzelheiten das Leben von vier jungen Frauen, eineiigen Vierlingen,
die offenbar alle verrückt wurden. Verschiedene Forscher schauten sich das Leben dieser Kinder aus jedem möglichen Blickwinkel an. Rosenthal selbst nahm an, dass
Schizophrenie bei vier genetisch identischen Frauen ein Primafacie Beweis für eine genetische Ursache war, und teilte dem Leser mit, dass er die Familie "Genain" nannte,
abgeleitet von den griechischen Worten, die "schreckliche Geburt" oder "entsetzliches Gen" bedeuten. Nichtsdestoweniger versichert er dem Leser, dass "meine Einstellung
beides betrachtet, genetische und umweltbedingte Faktoren, die bei solchen Störungen wichtig sind."
Kann also etwas anderes als ihre Gene alle vier Mädchen verrückt gemacht haben?
Der Vater dieser Vierlinge ist Alkoholiker und hat Anfälle von Paranoia. Er ist für seine Affären berüchtigt und schwängerte während der Kleinkindzeit der Vierlinge
außerhalb seiner Ehe mindestens zwei andere Frauen. Er schlägt seine Kinder und seine Frau, er bestimmt, dass sie zu Hause bleiben müssen, und er erlaubt ihnen keine
Kontakte außerhalb und keine Abweichung aus einem roboterhaften Regiment. Als seine Frau droht, ihn zu verlassen, sagt er ihr, er würde sie überallhin verfolgen und sie
umbringen.
Besessen von der Sexualität seiner Familie "spielt" er "Sexspiele" mit mindestens einem der Mädchen, und "wenn seine Frau oder eine der Töchter ein Stück dunkel
getoastetes Brot aßen, bezichtigte er sie zu versuchen, sich sexuell zu erregen". Als er seine noch nicht zehnjährigen Töchter beim Masturbieren erwischt, gießt er Säure
auf ihre Genitalien. Um den Frevel zu beenden, schickt er zwei von ihnen zu einem sadistischen Chirurgen, der ihre Genitalien verstümmelt, Nerven durchtrennt und
beträchtlich Fleisch herausschneidet. Der Chirurg war so berüchtigt, dass er gezwungen wurde, seine Privatpraxis zu schließen und in einem psychiatrischen
Landeskrankenhaus weiterzuarbeiten.
Der Vater ist, nach den Worten der Mutter, "immer so böse und hasserfüllt und gemein". Wenn er mit ihr schläft, beißt er oft so schlimm in ihr Gesicht, das es blutet und
anschwillt. Bei einer Gelegenheit muss die Mutter ihren Ehemann vor den Augen ihrer Kinder, der vier jungen Mädchen, in Notwehr niederschlagen. Einmal schlägt der Vater
die Köpfe von zweien der Mädchen zusammen, damit sie aufhören zu schreien. ...
Seiten 168-171
... lung eines Bluttestes an, der angeblich eine 83%ige Genauigkeit besaß, als er bei 73 psychotischen und nicht psychotischen Kontrollpersonen ausprobiert worden war. Die
Methode klang hoch entwickelt, sie benutzte Ultraschall, um eine Blutgerinnung auszulösen, gefolgt von einer elektronischen Analyse des Gerinnsels. Natürlich war der
staatliche Kommissar für geistige Hygiene, Newton Bigelow, begeistert. Er erklärte den Medien, dass dieser Test in der Lage sei, mit "einem hohen Grad an statistischer
Wahrscheinlichkeit" zwischen dem Blut von psychotischen und dem von nicht psychotischen Patienten "zu unterscheiden".
Während der 50er und 60er Jahre berichteten Forscher erneut über die Entdeckung von ursächlichen Substanzen im Blut von Schizophrenen. Der Psychochirurg Robert Heath,
Direktor der Psychiatrie an der Tulane-Universität, fand einen "Blutproteinfaktor", den er "Taraxein" nannte. (Heath war auch dafür bekannt, Hunderte von Elektroden in die
Gehirne einzelner Patienten zu pflanzen, um das Verschmelzen von Hirngewebe vorzubereiten.) Andere sahen Andrenochrom, ein Abbauprodukt von Adrenalin, als halluzinogenen
Faktor im Blut Schizophrener an. Das American Handbook of Psychiatry von 1959 setzte viel Hoffnung auf diese und andere Blutfaktoren und bemerkte, dass sie
"intensiv bei der Schizophrenie erforscht werden, und die nächsten paar Jahre entscheidende Antworten bezüglich ihrer Bedeutung geben sollten". Heutzutage werden Taraxeln,
Adrenochrom und ähnliches in den Fachbüchern nicht einmal flüchtig erwähnt.
Vor noch kürzerer Zeit wurde die künstliche Niere (Dialyse) benutzt, um Schizophrenie zu heilen - wieder um das Blut von schwer fassbarem Gift zu reinigen. John Cade, der
zuerst Lithium benutzte, um psychiatrische Patienten zu bändigen, war ein strenger Verfechter der Theorie des giftigen Blutes und der Dialyse, die er persönlich vorführte,
als sei es eine wirkungsvolle Behandlung. In der Ausgabe des Lancet vom 19. Juni 1982 antwortete Petr Skrabanek, indem er sich über das Konzept lustig machte und es
klar der gleichen alten "Schlechtes-Blut-Tradition" zuordnete. Einst Lieblingsthema psychiatrischer Blätter ist die Dialyse nun eine professionelle Peinlichkeit.
Die Dopamin-Hypothese der Schizophrenie
Die am häufigsten zitierte mögliche Ursache der Schizophrenie ist eine abnorme Hyperaktivität des Dopamin-Neurotransmittersystems im Gehirn. Das Textbook of
Psychiatry [Lehrbuch der Psychiatrie] der American Psychiatric Press aus dem Jahre 1988 nennt es "die am weitesten akzeptierte pathophysiologische Erklärung der
Symptome der Schizophrenie" (S. 382), und das ebenfalls 1988 veröffentlichte Buch The New Harvard Guide to Psychiatry [Der neue Harvard Psychiatrie-Führer]
diskutiert allein diese Hypothese detaillierter. Das Comprehensive Textbook of Psychiatry [Gesamtlehrbuch der Psychiatrie] sagt: "Die Idee, dass ein fundamentaler
Überschuss dopaminerger Aktivität mit der Entwicklung von Schizophrenie verbunden ist, ist die vielversprechendste und weitgehend akzeptierte Hypothese der Schizophrenie."
(S. 718).
Was ist die Theorie? In knapper Form: Da die Neuroleptika ihre Wirkung auf schizophrene Patienten wahrscheinlich in erster Linie durch die Unterdrückung der
Dopamin-Nervenübertragung erzielen, können wir spekulieren, dass die Dopamin-Neurotransmitter bei Schizophrenen unnatürlich hyperaktiv sind.
Die Neuroleptika unterdrücken die Dopaminaktivität in verschiedenen Teilen des höheren Gehirns, einschließlich der Hauptnervenbahnen zu den Stirnlappen und dem
gefühlsregulierenden limbischen System. Wie wir in Kapitel 3 gesehen haben, sind die Kreisläufe, die sie unterdrücken, eng verbunden mit denen, die in der Psychochirurgie
durchschnitten werden. Chirurgische Lobotomie zerschneidet die Fasern zu und von den Stirnlappen; die Neuroleptika unterdrücken hauptsächlich die Fasern von den tiefer
gelegenen Hirnregionen zu den Stirnlappen, weil sie Dopamin als Transmitter verwenden.
Sollten wir, weil die Neuroleptika die Dopamin-Nervenübertragung in die Stirnlappen hemmen, annehmen, dass irgendetwas mit diesen Gebieten des Gehirns nicht stimmt? Ganz
und gar nicht! Wir haben gesehen, dass diese Medikamente die gleiche Wirkung auf alle Menschen haben, ungeachtet ihrer Diagnose oder ihrer geistigen Verfassung. Sie hemmen
immer die Leidenschaft und die Willenskraft. Sie haben diese Wirkung sogar auf Tiere.
Betrachten wir die chirurgische Verstümmelung der Stirnlappen. Beweist ihre Wirksamkeit bei der Kontrolle von Psychiatriepatienten, dass die Chirurgie Abnormitäten der
Stirnlappen korrigiert? Die Lobotomie-Wirkung ist nicht spezifisch; sie stumpft Menschen und Tiere ab, ungeachtet des Zustandes ihres Verstandes oder Gehirns. Warum sollte
dann die Wirksamkeit der neuroleptisch verursachten, chemischen Lobotomie als Beweis für eine Abnormität in den Neurotransmittern des Stirnlappens benutzt werden? Das ist
kein wissenschaftliches Denken, das ist Wunschdenken!
Betrachten wir den Alkohol und seine Wirkung auf den Menschen. Vielen Leuten verschafft Alkohol zumindest ein kurzes Gefühl von Entspannung und vielleicht sogar Euphorie.
Alkohol erreicht dies durch die Beeinträchtigung von Gehirnfunktionen, und bei chronischem Gebrauch behindert er Gehirnzellen und kann sie abtöten. Bedeutet das, dass mit
diesen Gehirnzellen etwas nicht stimmt, weil die Menschen sich "besser fühlen", wenn die Zellen behindert werden oder sogar tot sind? Dieselbe Frage kann man bezüglich der
beruhigenden Wirkung des Nikotins im Tabak oder der energiespendenden Wirkung von Koffein im Kaffee stellen. Müssen wir erst die Existenz eines Defektes im Gehirn
unterstellen, um unser "Bedürfnis" nach Nikotin oder Koffein zu erklären?
Es wurden Studien durchgeführt, in denen man zu bestimmen versuchte, ob die Dopaminbahnen der sogenannten Schizophrenen abnorm aktiv sind, und einige Studien bestätigten,
dass dem so ist. Das Problem ist, dass in fast all diesen Studien die Patienten mit Neuroleptika behandelt worden waren; wenn sie solchen Medikamenten längerfristig
ausgesetzt sind, werden die Nervenbahnen veranlasst, die Wirkung der Neuroleptika auszugleichen, indem sie hyperaktiv werden. Wie das Textbook of Psychiatry der
American Psychiatric Press einräumt, gibt es zur Zeit keinen Weg, die Hypothese der Dopaminhyperaktivität zu beweisen, weil die Studien fast immer mit Patienten erfolgten,
die Neuroleptika genommen hatten. Das Comprehensive Textbook of Psychiatry stellt gleichermaßen fest, dass die am häufigsten zitierte biochemische Theorie der
Schizophrenie bestenfalls spekulativ ist und sich weitgehend auf die Wirkmechanismen der Neuroleptika stützt.
Es gibt also keinen signifikanten Beweis für eine Biologie der Schizophrenie. Die Psychiater erkennen dies in ihren Büchern und Zeitschriften an und hoffen und beten dann,
dass sich vielleicht die Dopaminhypothese als wahr beweisen lassen wird. Aber was sagen sie in der Öffentlichkeit? Typisch ist Jerrold S. Maxmen in The New
Psychiatry (1985). Auf einer Seite sagt er uns, dass "viele Psychiater glauben, dass die Schizophrenie etwas mit übermäßiger Aktivität im Dopamin-Rezeptorsystem zu tun
hat", und ein paar Seiten weite rutscht er, fast als Randbemerkung, in die Schlussfolgerung, dass "Geisteskrankheit zweifellos mit abnormen Rezeptoren und
Neurotransmittern verbunden ist". Er fügt nicht, wie er sollte, hinzu: "...aber nicht, bevor man beginnt, giftige psychiatrische Medikamente in das Gehirn zu
schütten".
Die Henne und das Ei
Angenommen, zukünftige Studien an schizophrenen Patienten belegten eine relative Dopamin-Hyperaktivität bei einigen oder bei jedem von ihnen. Würde das beweisen, dass die
Gehirne all dieser Leute abnorm sind oder dass Dopamin die Schizophrenie verursacht? Der gesunde Menschenverstand und experimentelle Beweise legen nahe, dass bestimmte
leidenschaftliche Zustände mit entsprechenden Veränderungen der Gehirnfunktionen verbunden sind. Lang anhaltender geistiger Stress fast jeder Form wie auch körperliche
Traumata oder körperlicher Stress veranlassen das Gehirn, eine gesteigerte Produktion bestimmter Hormone (wie z. B. Steroide) anzuregen. Umgekehrt mag sich Ihr
Steroid-Ausstoß erniedrigen, wenn Sie sich gerade entspannen. In all diesen Fällen beeinflusst der geistige Zustand das Gehirn mehr als umgekehrt.
Zu den gleichen Ergebnissen kommt man, wenn man die Gehirnwellen prüft. Wenn Sie erregt sind und der Fokus Ihrer Aufmerksamkeit sehr zentriert ist, wird Ihr Gehirn
wahrscheinlich schnelle, niedrigamplitudige elektrische Wellen im Elektroenzephalogramm (EEG) erzeugen. Wenn Sie sich dann entspannen, wird das EEG Alphawellen zeigen -
sie sind langsamer und haben eine höhere Amplitude. In jedem Fall beeinflusst der geistige Zustand die Reaktion des Gehirns, nicht umgekehrt. ...
Seiten 220-221
... im April 1990 in den Archives of General Psychiatry, untergräbt eine ganze Reihe früherer Forschungsprojekte, die vorgaben, eine genetische Verbindung bei
manisch-depressiven Störungen zu belegen.
Wie bei den genetischen Studien über die Schizophrenie waren die wesentlichen genetischen Studien über manisch-depressive Störungen mehr Werbefeldzüge als Wissenschaft.
Auch war ich nicht der einzige Psychiater, der die Oberflächlichkeit der viel gepriesenen Studie erfasste oder die öffentliche Propaganda missbilligte, welche die
Psychiatrie damit machte. In einem Brief an den Herausgeber der Psychiatric News im April 1987 verlangt John Fort von der Zeitung eine Rechtfertigung dafür, dass
sie der Amish-Studie so viel Bedeutung gegeben hat. Er zeigt auf, dass solche Studien über genetische Verknüpfungen dieserart in Wirklichkeit "ein Stochern im Nebel" sind.
Fort sagt: "Es gibt mindestens 300000 menschliche Gene und mehrere Milliarden Untereinheiten der DNS - die meisten von ihnen sind noch auf keiner Karte erfasst." Fort
kritisiert außerdem die Hoffnung der Psychiatric News, dass die Entdeckung eines genetischen Faktors irgendwie das "Stigma" verringern würde, das mit dem depressiv
Werden verbunden ist. Er hatte bereits eine Familie kennen gelernt, die aufgrund der Reklame um die Amish-Studie plante, keine Kinder zu bekommen.
Wenn die Biologie der Politik entspricht
Die Biologie der Depression beruht weniger auf Wissenschaft als auf Politik: dem Wunsch der Psychiatrie, ein medizinisches Image zu bewahren, ihre diktatorische
Autorität aufrechtzuerhalten, staatliche Forschungsgelder zu horten und Patienten zu überzeugen, psychiatrische Hilfe zu suchen. Die Psychiatrie hat in Amerika
versucht, Depression zu einer politischen Angelegenheit zu machen, sehr ähnlich wie Armut, Arbeitslosigkeit oder Aids. Weil fast jeder Erfahrungen mit Depressionen als
Teil des Lebens hat, ist es leicht, Behauptungen über die Prävalenz dieser "Krankheit" aufzustellen und die Statistiken der Prävalenz nach Wunsch hochzutreiben.
Der Leitartikel des American Journal of Psychiatry vom November 1988 war überschrieben mit: "Das Depressionsbewusstseins-, Erkennungs- und Behandlungsprogramm des
NIMH: Struktur, Ziele und wissenschaftliche Grundlage." Das Akronym des englischen Titels des Programms ist DART. DART war von den höchsten Leitungsebenen des NIMH und der
organisierten Psychiatrie erdacht. Es ist eine ausgefeilte politische und durch die Medien verbreitete Verkaufsstrategie, die darauf zielt, mehr Amerikaner dazu zu
bewegen, den Psychiater aufzusuchen, wenn sie sich unglücklich fühlen. Für die Amerikaner, die nicht willens sind, das Geld dafür selbst abzuzweigen, soll die
Bundesregierung die Bezahlung übernehmen.
Wie die Zusammenfassung des Artikels erklärt, ist DART "ein mehrphasiges Informations- und Ausbildungsprogramm, das entworfen wurde, um Berufsgruppen des
Gesundheitssystems und die allgemeine Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass depressive Störungen weit verbreitet, ernst und behandelbar sind".
Das NIMH war schockiert über die Entdeckung, dass die meisten Amerikaner (78 %) Depressionen eher selbst behandeln würden, als zu einem medizinischen Fachmann zu gehen.
Vielleicht als Reaktion auf die "Keine-Drogen"-Kampagne sagten nur zwölf Prozent, dass sie Medikamente gegen Depressionen nehmen würden. Das sind schlechte Nachrichten für
die Psychiatrie, und daher entwickelte DART "eine große Vielfalt von Materialien zur Bildung der Öffentlichkeit, was auch öffentliche Bekanntmachungen in Radio und
Fernsehen umfasst, Plakate, Prospekte, gedruckte Anzeigen, Buskarten, Lesezeichen und Aufklärungsbroschüren für verschiedene Alters- und Ausbildungsstufen in Englisch und
Spanisch."
Als Marketingprogramm für die biologische Psychiatrie unterstützt DART genetische und biologische Theorien, speziell indem es die Amish-Studie zitiert. Jede biologische
Behandlung wird hoch gepriesen, beginnend bei den alten Standards der Antidepressiva und Schockbehandlung bis hin zu Lichttherapie und Schlafentzug Behandlungsmethoden,
die kaum der Überprüfung wert sind. Die einzige Behandlung, die keine Unterstützung erfuhr, ist Placebo - die harmlose Zuckerpille - obgleich sie, wie wir im nächsten
Kapitel feststellen werden, wahrscheinlich die beste Medizin von allen ist. Der NIMH-Artikel zur DART-Werbung sagt so gut wie nichts über psychische oder spirituelle
Ursprünge des Depressivseins, und er erwähnt nur beiläufig einige Arten von Psychotherapie. ...
Anmerkungen
Wörtlich übersetzt: "ausgedrückte Gefühle"; da der Begriff Expressed emotions bzw. die Abkürzung EE auch im deutschsprachigen Raum in der
Fachdiskussion unübersetzt verwendet wird, wird er hier auch in der englischen Form beibehalten [Anm. d. dt. Hrsg.].
Abkürzung für "Affective style", d.h. "affektiver Stil" [Anm. d. dt. Hrsg.].
Abkürzung für "Communication deviances", d.h. "Kommunikationsabweichungen" [Anm. d. dt. Hrsg.].
Es ist ein unumstrittener Anspruch an jede empirisch-wissenschaftliche Methodik, dass Untersuchungen und Experimente von anderen Forschern
wiederholt (repliziert) werden können und zu den selben Ergebnissen führen müssen [Anm. d. dt. Hrsg.].